Indien

Indien – Vernichtung bedrohter Tierarten durch Windkraftanlagen  

Die Befürworter der Erneuerbaren Energien fühlen sich seit dem Pariser Abkommen 2015 vollauf bestätigt. Sie glauben, dass sie in Indien ihre Vision von einer Transformation der Welt zu Gunsten einer weltweit vorwärts strebenden Industrie für Erneuerbare Energien realisieren zu können.

Indien ist das größte Land in Südasien und nach China das bevölkerungsmäßig zweitgrößte Land (1,2 Milliarden Menschen) der Welt. Aber weder in Deutschland noch in Indien sind die Interessen der Regierungen und Banken dieselben wie die der Naturschützer. Prerna Singh Bindra gilt als eine für Umwelt und Reisen führende Journalistin in Indien. Sie ist international bekannt. Unter anderem erhielt sie den Carl Zeiss Wildlife Conservation Award in 2007. Es sei ironisch, dass die Symbole der sauberen Energie Mittel der ökologischen Zerstörung sind, sagt sie. In The Hindu, der drittgrößten englischsprachigen Tageszeitung Indiens, schrieb sie in dem Artikel “The bustard and the windmill” (“Die Trappe und das Windrad”) über die Vernichtung bedrohter Tierarten durch Windkraftanlagen.

“Wüsten beherbergen einige spektakuläre Wildtiere. Aber jetzt sind sie durch riesige Solar- und Windparks bedroht.”

Am Nachmittag des 17. Juli stürzte ein großer gelbbraun-weisser, einem Strauß ähnlicher Vogel in eine 33-KV-Übertragungsleitung, die an Windkraftanlagen in Naliya angeschlossen war, am Rande des Lala-Bustard-Schongebietes in Kutch, Gujarat. “Das war kein gewöhnliches Vogeltod”, sagt die Naturschützerin und Journalistin Prerna Singh Bindra.

Getötet wurde eine der Großen Indischen Trappen, von denen es weltweit heute schätzungsweise nur 150 gibt. Den Tod des jungen weiblichen Vogels bezeichnet Prerna Bindra als “eine ökologische Katastrophe”. Er bedeute, dass es jetzt ein Individuum einer äußerst bedrohten Spezies – der Großen Indischen Trappe – weniger gebe. Dieser besondere Vogel wurde von Satelliten überwacht. Informationen, die von GPS-Sendern erbracht wurden, hätten gezeigt, dass er sich regelmäßig zwischen Naliya und der 30 km entfernten Küste von Dadamapar Dorf bewegte.

Aber der Tod war wohl unvermeidlich, sagt die Naturschützerin, denn der Abstand zwischen den beiden Lebensräumen sei dicht mit Windenergieanlagen zugestellt worden. Der seltene Vogel sei von einer scheinbar gutartigen Aktivität bedroht, durch Wind- und Solarenergieprojekte. Stromleitungsnetze – viele davon für Projekte mit Erneuerbaren Energien – hätten in den letzten zehn Jahren mindestens sieben Trappen in Indien getötet. Trappen gehören zu den größten fliegenden Vögeln der Welt. Sie seien weltweit wegen der relativ niedrigen Flugwege und des geringen Sehvermögens leicht Opfer von Stromleitungen, erklärt ein Vogelkundler.

Gärten

Einer US-Studie zufolge töten Windenergieanlagen jährlich weltweit zwischen 140.000 und 328.000 Vögel, sagt Prerna Bindra. Aber eine größere Sorge als dieses direkte Gemetzel sei der Verlust des notwendigen Lebensraumes – die größte Ursache der Artenauslöschung. 

Ein paar Meilen nördlich von Kutch befindet sich einer der größten Nationalparks Indiens. Das letzte Mal, als sie vor vier Jahren ein Weideland in Salkhan außerhalb des Parks besuchte, verfolgte sie die winzigen Spuren einer Wüstenkatze, entdeckte einen indischen Fuchs, sah eine Schar von Geiern über einer Beute, während ein Falke kreiste, aber sie sah nicht die berühmtesten Wiesenbewohner, die große indische Trappe. Der damalige Parkdirektor G.S. Bhardwaj habe ihr gesagt, dass er im Sommer 2013 noch 24 Trappen gezählt hatte.

In den folgenden zwei Jahren sei die Landschaft durch unendliche Hektar Windparks umgestaltet worden. Bhardwaj habe deshalb im Jahr 2015 an den Bezirk geschrieben: “Wenn diese Art von großflächiger Installation von Windrädern und zugehörigen Stromübertragungsleitungen (plus Eingriff in die Landschaft) weiter betrieben wird, verliert der Vogel seinen Lebensraum, und folglich wird er vollständig aus dem (Salkhan) Gebiet verschwinden.”

Windräder auf Bergrücken und Plateaus zerstören Lebensräume für Tiere

Eine andere durch die Windenergie bedrohte Trappenart sei die Barttrappe, ein markanter Vogel, der für sein aufwändiges Ritual bekannt ist. Die Naturschützerin hatte ihn während eines unvergesslichen Monsuns beobachtet – der männliche Vogel, mit langen, bandartigen Federn an den Seiten seines Kopfes, sprang mindestens zwei Meter in die Luft, stieg ab und sprang dann wieder auf, bevor er zu Boden schwebte. Die Barttrappe ist dafür bekannt, dass der Vogel unermüdlich die yo-yo-Routine 500 mal am Tag wiederholt, um eine Partnerin zu umwerben. Die Zahl dieser Vögel, die auf dem Subkontinent heimisch sind, sei rasch rückläufig.

Rieseneichhörnchen
Indisches Rieseneichhörnchen

Ihr Besuch in Ratlam und Dhar Bezirken in Madhya Pradesh, früher eine Hochburg des Vogels, sei ein Schock für sie gewesen, sagt Prerna Bindra. In der Region lebten kaum noch Barttrappen, wurde ihr gesagt. Und auch hier, unter einer Reihe von Gefahren, gebe es Erneuerbare Energie. Die von dem Vogel bevorzugten Wiesen seien in Reviere für Windkraftanlagen verwandelt worden.

Wüsten, oft wohlüberlegtes Ödland, sind Schmezltiegel der spektakulären Wildtiere, sagt Prerna Bindra, aber sie seien von Indiens ehrgeizigen Erneuerbaren Energieerzeugungsziel, von 175 GW bis 2022, bedroht. Der ökologische Fußabdruck einer einzelnen Windkraftanlage oder Solarpanele könnte vernachlässigbar sein, aber große Wind- oder Solarparks beanspruchen riesige Landstriche. Straßen werden gebaut, um Turbinen heranzuschleppen. Und bei Erdarbeiten werden Wälder oder Wiesen zerfetzt, wodurch die Landschaft dauerhaft verändert werde.

Auch in den westlichen Ghats, einem globalen Biodiversitäts-Hotspot, drohen Windräder die Bergrücken und Plateaus zu kolonisieren. So seien zum Beispiel 300.000 Bäume für den Bau einer Straße für einen Windpark entlang der Hügel in der Nähe des Bhimashankar-Heiligtums in Maharashtra gefällt worden. Hier sei ein Lebensraum für Leoparden, Schuppentiere und dem indischen Riesen-Eichhörnchen.

Symbole der sauberen Energie sind Mittel der ökologischen Zerstörung

Es sei in der Tat ironisch, dass diese Symbole der sauberen Energie auch Mittel der ökologischen Zerstörung sind. Nach der U.S. Geological Survey benötige ein Megawatt Windkraft im Durchschnitt etwa 100 Tonnen Stahl, 400 Tonnen Beton, 6,8 Tonnen Glasfaser, neben Kupfer und Gusseisen, sagt Prerna Bindra. Der Bergbau für Eisenerz und Sand sei energieintensiv und zerstöre Urwälder und Wildtierlebensräume.

Vanishing
Prerna Singh Bindra: The Vanishing India’s Wildlife Crisis.  ⇒Hier erhältlich.

Es sei eine Umweltlästerung, erneuerbare Energien in Frage zu stellen, doch ihre ökologischen Kosten könnten nicht ignoriert werden, sagt die Naturschützerin. Sie stellt die Frage: “Ist eine “saubere” Energiequelle wirklich “grün”, wenn sie Ökosysteme und Wildtiere zerstört?”

Der Anteil der erneuerbaren Energien in unserem Energiemix müsse signifikant sein, aber mit der notwendigen Umweltprüfung und der Beachtung von Vorschriften. Dieser Sektor bekomme derzeit einen Freifahrtschein und sei von Umweltverträglichkeitsprüfungen und öffentlicher Anhörung befreit. Prerna Bindra hält die dezentralisierte Erneuerbaren Energien für einen Weg nach vorne. Bestimmte kritische Bereiche müssten “no-go” Zonen sein. Zunächst einmal die Heimat der großen indischen Trappe.

Das Buch “The Vanishing: India’s Wildlife Crisis” wurde im Juni 2017 veröffentlicht.

Die indische Euphorie für Erneuerbare Energien

“Indien war lange Zeit Nachzügler, wenn es um erneuerbare Energien ging. Inzwischen hat es eines der ambitioniertesten Ausbauprogramme der Welt. Auch deutsche Expertise ist dabei gefragt”, war Anfang 2017 in den Medien zu lesen. Großkonzerne und Banken hatten das indische Potenzial für Erneuerbare Energien aber schon längst entdeckt. Nach den Bloomberg-Daten sei der Spitzenwert bei den indischen Investitionen in Erneuerbare schon 2011 mit jährlich mehr als 13 Milliarden US-Dollar erreicht worden.

Seit 2011 treffen sich Deutschland und Indien alle zwei Jahre zu Regierungkonsultationen, berichtet klimaretter.info am 29. Mai 2017. Nur zu wenigen Ländern pflege Deutschland derart intensive Beziehungen. Als Merkel 2015 nach Indien reiste, sei eine Solarpartnerschaft geschlossen worden.

Klima-Kolonialismus

Knapp eine Milliarde Euro habe Deutschland für den Klimaschutz zugesagt. Zugleich sollen laut klimaretter die Erneuerbaren-Kapazitäten massiv ausgebaut werden. Bis 2022 strebe Indien eine Kapazität von 175.000 Megawatt Erneuerbaren an, darunter 100.000 Megawatt Photovoltaik. 2030 sollen Erneuerbare 40 Prozent des Stroms liefern. Und es müsse auch künftig weiter kräftig in Erneuerbare investiert werden.

Die Entwicklungsbank KfW hat Kredite von gut einer Milliarde Euro für “Green Energy Corridors” vergeben, die den Ökostrom vom Erzeuger dorthin transportieren sollen, wo er gebraucht wird. Mindestens eine weitere Milliarde fließt im Rahmen der deutsch-indischen Solarpartnerschaft, die zum Beispiel den Ausbau von Solarzellen auf indischen Dächern fördern soll.

Angela Merkel: “Deutsche Kompetenzen passen gut zu meiner Vision für Indiens Transformation.” 

Grenzen des Wachstums für die ökologische Industrie

Die indische Euphorie für Erneuerbare Energien könnte dennoch gebremst werden. Zu den Bremsfaktoren zählen mangelnde Speicherkapazitäten, zu wenig Hochspannungsleitungen, Finanzierungsengpässe und zu wenig Fachpersonal.

Aber es geht nicht nur um fehlende Speicherkapazitäten, sondern auch um die Kosten für Speichersysteme. Die sind teuer, höchstwahrscheinlich unbezahlbar.

Noch kann Indien Schwankungen in der Energieversorgung durch seine hohe Produktion an Kohleenergie ausgleichen. Doch je höher der Anteil von Wind- und Solarstrom wird, “desto mehr muss das Land sich über Möglichkeiten Gedanken machen, die Versorgung auch durch Speichersysteme zu stabilisieren – und die sind teuer. Auch bei der Finanzierung seiner Kraftwerke ist das Land auf Kapital aus dem Ausland angewiesen. Sollten die Zinsen deutlich ansteigen oder das Vertrauen der internationalen Investoren wieder schwinden, lauern auch hier Gefahren für die Ausbaupläne.”

Vielleicht wäre dies eine Gefahr für die Ausbaupläne der Lobby für Erneuerbare Energien, aber ein Glücksfall für Indien und den Naturschutz.

Quellen:

Titelfoto: The Hindu
Foto Rieseneichhörnchen: ewi

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