Judith Butler gegen die Universität Lund

Die Judith Butler Affäre

Faschisten und Geschlecht an der Universität Lund

“Die Judith Butler Affäre” – mit diesen Worten skizziert Erik Ringmar, Politikwissenschaftler an der Universität Lund in Schweden, auf seiner Homepage einen neuen Höhepunkt im Geschlechterkampf an der Universität Lund.

Erik Ringmar promovierte 1993 an der Yale University in Politikwissenschaften und unterrichtete 12 Jahre lang vergleichende Politik an der London School of Economics. Zwischen 2007 und 2013 lebte und arbeitete er in China, zuletzt zwei Jahre als Professor für Internationale Beziehungen in Shanghai. Er ist Autor mehrerer Bücher und etwa 50 wissenschaftlicher Artikel.

Quotierung

Die Weltoffenheit des Politikwissenschaftlers hinderte das politikwissenschaftliche Institut der Universität Lund jedoch nicht, einen Skandal gegen ihn anzuzetteln. Der Anlass war eine von der Universität selbst auferlegte Regel, dass mindestens vierzig Prozent der Autoren auf einer Literaturliste Frauen sein müssen. Wie weltfremd und wissenschaftsfeindlich diese Regel ist, wurde deutlich, nachdem die Institutsleitung gegen den Willen des Wissenschaftlers einen Text der amerikanischen Philosophin und Feministin Judith Butler auf die Literaturliste setzen ließ und diese sich gegen die Zwangsmaßnahme äußerte.

Die Quotierung sei notwendig, sagen die Befürworter des Systems, um Wissenschaftlerinnen eine bedeutendere Stimme zu geben. Bullshit? Erik Ringmar antwortet darauf: “BS, sage ich. Das System ist eine Bedrohung für die Universität und der akademischen Freiheit.”

Die Antwort von Judith Butler

Ringmar wandte sich daraufhin an Judith Butler. Die Professorin für Rhetorik an der Universität Kalifornien in Berkeley antwortete prompt mit einem flammenden Plädoyer für die Freiheit der Lehre. Die Süddeutsche Zeitung zitiert aus der Antwort-eMail Butlers:

“Ich verwahre mich dagegen, dass mein Name auf diese Weise benutzt wird”, schrieb Judith Butler in einer Mail. “Die akademische Freiheit gibt dem akademischen Lehrer das Recht, seine Lehrveranstaltungen nach seinem eigenen professionellen Urteil zu gestalten … Ich wehre mich dagegen, von Lehrern zu erwarten, dass sie mit bestimmten Texten oder Autoren arbeiten … Die Methode ist verwerflich, und ihr Zweck kann durch Zwang nicht erreicht werden …, während die akademische Freiheit in Zeiten, da sich autoritäre Herrschaftsformen … ausbreiten, besonders wichtig ist … Quoten sind der Versuch einer Abkürzung, mit ihnen kann das Ziel von Gerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft nicht erreicht werden. Eine gerechte Gesellschaft erreichen wir durch Freiheit, und jede Vorstellung von Gerechtigkeit, die uns Freiheit verweigert, verweigert uns auch die Gerechtigkeit selbst.”

Judith Butler ist eine US-amerikanische Philosophin an der Universität von Kalifornien. Ihre Arbeit beeinflusst die politische Philosophie und Ethik. Internationale Aufmerksamkeit erreichte sie mit ihrer feministischen Theorie (Wikipedia). Mit ihrer Schrift Das Unbehagen der Geschlechter stieß sie 1990 die Diskussionen um die Queer-Theorie an. Außerdem hat Judith Butler sich mit Fragen von Macht, Subjekttheorien und  mit der Ethik der Gewaltlosigkeit beschäftigt.

Erik Ringmar erklärt an einem Beispiel, wie das System der Bedrohung für die Universität und der akademischen Freiheit funktioniert

Der Hochschullehrer Erik Ringmar berichtet auf seiner Homepage, dass er einen Kurs über den Aufstieg des Rechtsextremismus und schließlich Faschismus um die Wende des zwanzigsten Jahrhunderts geplant hatte. Ihn interessierte die Möglichkeit einer Verbindung zwischen der Ausbreitung der globalen Märkte im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts und dem anschließenden Rechtsruck. Er legte seinen Vorschlag inklusive einer Literaturliste der zuständigen Studienkommission vor.

Die Studienkommission kritisierte den Vorschlag wegen des Mangels an weiblichen Autoren auf der Leseliste, sagt Ringmar. Ihm wurde vorgeworfen, dass seine Leseliste nicht einmal annähernd die Quote der erforderlichen 40% erreichte. Das war allerdings keine Absicht des Dozenten. Es war nur schwierig für ihn, weibliche Autoren zu dem Thema zu finden. Dies könnte nach Meinung Ringmars damit zusammenhängen, dass die meisten Reaktionäre Männer waren. Frauen, zumindest diejenigen, die sich schriftlich zum Ausdruck gebracht haben, waren überwiegend liberal und progressiv. Nach einer umfangreichen Suche sei er schließlich auf eine Autorin gestoßen, die sich gegen das Wahlrecht für Frauen ausgesprochen hatte. Dankbar habe er sie auf die Leseliste gesetzt.

Einschränkung der Freiheit

Der Vorsitzende der Studienkommission habe ihm daraufhin mitgeteilt, dass die Quote von 40% zwar nur eine Faustregel sei, aber ein Kurs mit so wenigen weiblichen Autoren werde niemals akzeptiert werden. Ringmar setzte seine Suche nach reaktionären Frauen fort. Am Ende beschloss er, das Grundprinzip des Kurses etwas zu ändern. Wenn die Leseliste Anarchistinnen enthalten würde, wäre er vielleicht in einer viel besseren Position, überlegte er. Anarchistinnen teilten mit Faschistinnen zumindest die Faszination der Gewalt. Und, was noch wichtiger sei, es gebe eine ganze Reihe von weiblichen Autoren unter ihnen.

Der Kurs erhielt mit knapper Mehrheit die Genehmigung des Ausschusses. Der studentische Vertreter im Ausschuss sei sehr kritisch wegen des „Mangels an Fokussierung auf Geschlechterfragen“ gewesen. Nach einer ausführlichen Diskussion sei der Kurs genehmigt worden, nachdem Ringmar versprach, Judith Butler, die bekannte zeitgenössische poststrukturalistische Feministin auf die Leseliste zu setzen.

Grenzen der Wissenschaft an Universitäten

Schon der Beginn des Kurses sei ereignisreich gewesen. Ringmar berichtet, er sei mit seinem ersten Vortrag, in dem er über Platons Höhlengleichnis und die Idee der Aufklärung sprach, ein Thema ziemlich weit vom Status der Frauen entfernt, nicht weit gekommen, als er von einem Studenten unterbrochen wurde:  „Könnten Sie uns bitte etwas mehr über die Situation der Frauen in dieser Zeit sagen?“, fragte einer. Ein anderer stimmte zu. Ringmar reagierte verblüfft: “Ich sprach über Platons Höhlen Metapher und die Idee der Aufklärung, ein Thema, das ziemlich weit vom Status der Frauen entfernt ist. Warum unterbrechen die Schüler mich mit einer solchen fremden Frage?”

Zwei Tage später informierte ihn die Studienkommission, dass eine Delegation von Studenten seines Kurses sich beklagt hätten – nach nur zwei Seminaren. Die Beschwerden seien nicht sehr spezifisch gewesen, aber Ringmar wurde vorgeworfen, ihre Kommentare nicht ernst genommen zu haben. Außerdem nehme das Seminar keinen Bezug auf die offiziell genehmigte Leseliste. “Natürlich tat sie es nicht”, sagt der Wissenschaftler. “Es gibt keinen Studienausschuss in der Welt, der mich zwingen kann, Judith Butler zu lehren, es sei denn, ich will es.”

Das Ganze sei seltsam gewesen, sagt Erik Ringmar. Es stellte sich heraus, dass der fragende Student mit dem Studenten in der Studienkommission, der sich über den Mangel an Fokussierung auf Geschlechter beschwert hatte, befreundet war.

“Gender-Gaga” – Fehlentwicklung an Universitäten

Die Studentenvereinigung an der Universität Lund sei damit beschäftigt, sagt der Politikwissenschaftler,  „Probleme“ mit Kursen ausfindig zu machen und Lehrer zu belästigen, die sich unzureichend auf das Geschlecht konzentrieren und zu wenige weibliche Autoren auf der Leseliste haben. Bei diesen Zielen würden sie von einigen Mitgliedern der Studienkommission aktiv und von der Mehrheit der Mitglieder passiv unterstützt. Sie seien zu ängstlich, um eine prinzipienfeste Haltung einzunehmen. Da er einen Kurs über alte Reaktionäre geben wollte, habe er  jetzt einen Ruf als „anti-feministisch“. Deshalb sei jetzt sein Kurs etwas, das untersucht und geprüft werden müsse.

Das grundlegende Problem sieht Erik Ringmar darin, dass eine geistige Tätigkeit – in diesem Fall ein Kurs – demokratischen Kriterien unterworfen werde. Mit politischen Präferenzen dürfe jedoch nicht über Lehrinhalte abgestimmt werden, ist die klare Botschaft des Politikwissenschaftlers. Er sagt: “Die Demokratie hat ihren  Platz, aber er ist nicht in meinem Kurs und nicht auf meiner Leseliste.” Es seien die Unfähigkeit der Studienkommission, diesen Punkt zu erfassen und ihr Versagen, für die Integrität des intellektuellen Prozesses zu stehen, die diese Situation unhaltbar gemacht haben.

Erik Ringmar hat sich entschieden, den Kurs nicht noch einmal anzubieten. Er sagt: “Ich will nicht von Studenten schikaniert werden, und ich will nicht, dass seltsame Gerüchte über mich verbreitet werden. Schade, ich denke, dass das Wachstum und die Ausbreitung des Faschismus ein wichtiges und aktuelles  Thema ist. (“I have after some head-scratching decided not to give the course again. I don’t want to be bullied by students and I don’t want weird rumors to spread about me. Too bad, I think, since the growth and spread of fascism is an important and timely subject.”)

Junge Frauen in Schweden bieten Anlass zu großer Sorge

Norwegen hat aus ähnlichen Erfahrungen wie an der Universität Lund gelernt. Weil „Experten“ dogmatisch argumentierten und hyperventilierten, wenn sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert wurden, die nicht in ihr Weltbild passten, haben die Bürger von der Politik Konsequenzen gefordert. Die Finanzierung für diverse „Gender“-Lehrstühle wurde daraufhin eingestellt.

Den Verdacht, dass irgendetwas faul im Staate Schweden ist, bestärkt der Schwede Christian Sörlie Ekström, Naturwissenschaftler, Buchautor („Wie sind unsere Kinder wirklich“ – Hur mår egentligen våra barn?) und Greenpeace-Aktivist. Er berichtet, dass die mentale Gesundheit der Jugend und vor allem der jungen Frauen in Schweden Anlass zu großer Sorge biete. Die fehlende Bindungsentwicklung und elterliche Erziehung bei Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und 3-4 Jahren führe zu mangelnder Stressbewältigung, die sich u.a. in asozialem Verhalten äußere. Zusätzlich sei die Erkrankung an Depressionen bei Mädchen in den vergangenen 20 Jahren um 1000 Prozent gestiegen, die Angststörungen um 250 Prozent.

Nicht nur Schweden würde gut daran tun, dem Vorbild Norwegens zu folgen.

Deutschland und seine neuen Feministinnen

Der Vorsitzende der Studienkommission habe ihm bestätigt, dass 40% der Seminarliteratur von Frauen verfasst sein muss, nur eine Faustregel sei, keine Vorschrift, sagt Erik Ringmar. Im Deutschlandfunk Kultur behauptet dagegen die Moderatorin Liane von Billerbeck, dass diese Regel “längst” eine Muss-Vorschrift sei. Es sind stets Feinheiten dieser Art, die eine sachliche Berichterstattung von einer politischen  Beeinflussung unterscheiden.

Die Anmoderation gewährt einen nahtlosen Übergang zur Meinung Dagmar Simons, die bis 2016 beim Wissenschaftszentrum Berlin Leiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik war. Als Geschäftsführerin von “Evaconsult” berät sie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) beim Thema forschungsorientierte Gleichstellungsstandards. Es sei “keine gute Idee alles durchzuquotieren”, sagt Dagmar Simon. Andererseits gehe das Abendland nicht unter, wenn “gerade bei den Politikwissenschaften” 40 % der Primär- und Sekundärliteratur von Frauen stammen müssen. Das Abendland geht allerdings auch mit quotierten Frauen in der Wissenschaft nicht mehr oder weniger unter.

Quotenregelungen dienen dazu, Forschung und Lehre politisch zu kanalisieren

Dagmar Simon sagt, sie habe bisher nicht gehört, dass die Quotenregelung zum Kollaps der Politikwissenschaften in Lund geführt habe. Sie setzt damit eindeutig Prioritäten, die sich nicht aus dem Gegenstand der Wissenschaft, sondern der Politik ergeben. Die DFG-Beraterin hat über das Kernproblem, dass über wissenschaftliche Fragestellungen nicht demokratisch abgestimmt werden kann, zugunsten einer politischen Abstimmung entschieden.

“Wir brauchen viel mehr Frauen in der Wissenschaft, dann ändern sich auch die Machverhältnisse”, sagt Dagmar Simon. Aber, und das wird nicht nur in Lund offensichtlich, die Quotenregelungen dienen dazu, Forschung und Lehre politisch zu kanalisieren. Frauen haben sich über ein Jahrhundert ihren Weg gebahnt und eine Gleichstellung in der Wissenschaft durch Intelligenz und Beharrlichkeit geschaffen, dadurch auch anderen Frauen den Weg geebnet – lange bevor Frauen als Gleichstellungsbeauftragte Verdienstmöglichkeiten in einer neu entstehenden Branche entdeckten.

Deutschlandfunk Kultur: “An der Universität Lund müssen die Literaturlisten politikwissenschaftlicher Seminar mindestens 40 Prozent weibliche Autoren aufweisen. Eine sinnvolle Maßnahme im Sinne der Gleichstellung in der Wissenschaft? Das haben wir Dagmar Simon von “Evaconsult” gefragt. Dagmar Simon im Gespräch mit Liane von Billerbeck”

Faina Faruz

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Titelfoto: Liz001, Skulptur Universität Lund, pixabay

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