Der Ortsverband der Grünen in Witten hat die ersten Jahre seiner Aktivitäten jetzt offiziell aus dem historischen Gedächtnis seiner Partei gestrichen. Die Grünen wollen von ihrem Engagement in der Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre nichts mehr wissen und frönen statt dessen einem Personenkult.
Manche Grüne erkennen ihre Partei nicht wieder. Die einst unbequeme Protestpartei, für die die Meinungsfreiheit ebenso wie die Ablehnung von Kriegen einmal ein hohes Gut waren, hat sich in eine angepasste, aggressive Lobbypartei verwandelt, die mit rabiaten Methoden ihre Interessen durchsetzt, wie man sie eigentlich nur aus religiösen Sekten kennt. Diese Erfahrung hat Hubert Kleinert (Grüne) 2008 gemacht: “Wie in einer Gemeinschaft der Rechtgläubigen wird vormodern Abweichung moralisch stigmatisiert. Und das sogar da noch, wo es gar nicht um den zentralen Glaubenssatz selbst geht, sondern nur um einzelne Auslegungsfragen.” In fast allen Grundsatzkonflikten der Grünen seit den frühen achtziger Jahren sei es geradezu die Regel gewesen, sagt Kleinert, “nicht nur über verschiedene Auffassungen zu streiten, sondern immer auch mit moralischen Kategorien der Verwerfung, nicht selten auch mit offener Diffamierung zu operieren”.
Die Grünen haben sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter von ihren ursprünglichen Positionen entfernt. Das Bild, das sich viele Wähler von den Grünen zum Teil immer noch machen, ist brüchig. Die Wähler sollen von den Widersprüchen und dem Wandel möglichst nichts mitbekommen, weshalb es nur zwei Möglichkeiten gibt, entweder die Brüche zu erklären oder die eigene Geschichte zu fälschen. Parteiintern ist der gravierende Wandel nur mit repressiven Maßnahmen durchzusetzen.
Insofern ist die Geschichtsfälschung durch eine Partei immer doppelt zu bewerten: Sie wirft ein Schlaglicht auf die innerparteiliche Demokratie im Besonderen, auf das Demokratieverständnis im Allgemeinen und auch auf die zukünftige Parteistrategie. In diesem Sinne wirft die Geschichtsfälschung bei den Wittener Grünen einen Schatten voraus.
Das Jubiläum des Ortsverbandes der Grünen in Witten
Am 19. Juli feierte der Ortsverband der Grünen in Witten sein 30jähriges Bestehen. Er gibt 1983 als Gründungsjahr an. Der Jubiläumstag wurde gebührend mit Musik, gutem Essen, Getränken und zahlreichen Anekdoten “ausgelassen gefeiert”. Die Grünen schwelgten in Erinnerungen “an die oft respektlose und verständnislose Art, mit der damals auf die politischen Newcomer und ihre alternativen Ideen zur Politikgestaltung reagiert wurde”. Gäste aus verschiedenen Wittener Initiativen und anderen Parteien waren eingeladen worden, es gab einen Geschenkekorb der SPD und ein Grußwort der Bürgermeisterin Sonja Leidemann, der “gutgelaunte” grüne Landtagsvizepräsident Oliver Keymis war Moderator der Veranstaltung.
“Dabei wurde natürlich auch ein Rückblick auf die politischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre gewagt, bei dem auf die schwierigen, aber umso engagierteren Anfangsjahre der Witter Grünen zurückgeblickt wurde”, heißt es auf der Homepage der Grünen. Sie fahren fort: “… aber es wurde schnell klar, dass dieses Auftreten längst gegenseitigem Respekt und konstruktivem Dialog gewichen ist …”.
Es ist leider mehr als nur “dieses Auftreten” gewichen. Dem Respekt der etablierten Strukturen der Kommune folgte die Respektlosigkeit gegenüber den Bürgern, den ehemaligen und neuen Mitgliedern und – der eigenen Parteigeschichte. Über das Verhalten der Grünen gegenüber den Bürgern hat Ruhrkultour mehrfach berichtet.
Drei Jahre intensive Aufbauarbeit der Wittener Grünen wurden aus der Parteigeschichte eliminiert
Die Grünen existieren seit 1980, also bereits seit 33 Jahren. Das 30jährige Jubiläum hätte demnach 2010 gefeiert werden müssen, nicht erst jetzt. Der richtige Termin wurde allerdings nicht versehentlich verpasst, sondern die Geschichte wurde umgeschrieben: Drei Jahre intensive Aufbauarbeit der Wittener Grünen wurden schlicht aus der Parteigeschichte eliminiert. Ein Beleg für die Aktivitäten des Grünen Ortsverbandes aus dem Jahr 1981 findet sich hier als pdf-Datei.
Wittener Friedensbewegung
Jeder Verein, jede Partei ist stolz auf ihr Gründungsdatum, es sei denn, er oder sie hat etwas zu verbergen. Die Gründungsjahre der Wittener Grünen waren u.a. auch durch ein intensives Engagement in der Wittener Friedensbewegung geprägt.
Die Grünen haben jedoch auf Bundesebene ihre Antikriegshaltung längst aufgegeben. Wollen die Grünen ihr Engagement in der Friedensbewegung vergessen und als historischen Ballast abwerfen? Die rebellische Vergangenheit gilt jedenfalls als erledigt. Die Friedensbewegung aus der Geschichte zu eliminieren ist jedoch ein ganz anderer Schritt. Er hätte Empörung auslösen müssen. Gab es gegen die Geschichtsfälschung Proteste bei den Grünen in Witten? Im Landesverband? In der Presse? Fehlanzeige.
Personenkult
In dem kleinen Ortsverband der Wittener Grünen gibt es offenbar Herrscher und Beherrschte. Die derzeitige Fraktionsvorsitzende der Grünen Birgit Legel-Wood war ab 1984 Ratsmitglied der Wählergemeinschaft Grün-Offene-Liste (GOL). Sie wurde erst 1987 Mitglied der Grünen und hatte mit der Gründung 1980 und den darauf folgenden Aktivitäten der Grünen nichts zu tun. Das Schweigen der Mitglieder zur Anpassung der Geschichte an die Biografie ihrer Fraktionsvorsitzenden ist bemerkenswert. Sie zeigen damit, dass auch sie es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Sie akzeptieren außerdem, dass den Menschen, die 1980 die Grünen mitgegründet haben, die Biografie gestohlen wird. Klaus Riepe, Gründungsmitglied, sagt, “diese Märchen [sind] leider nicht harmlos, sondern bösartig.”