DER UNTERSTELLER

Glosse
Von Anna Vero Wendland

Heute morgen hörte ich im Deutschlandfunk ein Interview mit Franz Untersteller (Grüne), Umweltminister in Baden-Württemberg, zu den Energiewirtschafts-Plänen der Bundesregierung, welche die Grünen in Berlin bereits als “Abrissbirne für die Energiewende” bezeichnen.
Grund: Das Wirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriel will den aus dem Ruder gelaufenen Zubau von Windkraftanlagen wieder einfangen, nachdem Überkapazitäten nicht nur zur Flutung der Netze mit nicht gebrauchtem Windstrom geführt haben, sondern auch zu durch die Decke gehenden Subventionen, da Börsenpreis und staatlich garantierter Abnahmepreis immer weiter auseinanderklaffen.
Aber Franz Untersteller kennt die Schuldigen: es seien, neben dem schleppenden Netzausbau, die “konventionellen Erzeuger”, also Kern- und Kohlekraft, welche “die Netze verstopfen” und dem Grünstrom den Weg versperrten. Er schlage daher einen weiteren Zubau von Windkraftkapazität vor, um die störenden Kohle- und Atomelektronen schrittweise aus dem Netz zu drängen und so freie Bahn für freie Energiebürger zu schaffen, die in “Erneuerbare” investierten.

Minister Untersteller ist stolz auf seinen Familiennamen und nennt sich scherzhaft auch selbst gerne “der Untersteller”. Er beschäftigt sich ausweislich seiner privaten Webseite mit Genealogie und Namensforschung und hat herausgefunden, dass es schon im 14. Jahrhundert in Tirol einen urkundlich erwähnten “Petrus der Untersteller” gab, der seinen Bei- und Hofnamen vermutlich dem Unterstellen von Vieh anderer Eigentümer verdankte, einer in der alpinen Weidewirtschaft verbreiteten Praxis. Genaugenommen haben wir es also mit einem Úntersteller zu tun und nicht mit einem Unterstéller.
Der Clou ist – die Aussagen des Untersteller Franz des 21. Jh. über unsere Verbundnetze lassen sich in der einen wie der anderen Weise interpretieren. Erstens handelt es sich bei seinen Aussagen um Unterstellungen, die von einer frappanten Unbildung über elementare elektrotechnische Zusammenhänge zeugen. Und zweitens stellt er sich die Energienetze des 21. Jahrhunderts, getreu seiner eigenen Familiengeschichte, als eine Art Netz von Viehtrieb-Pfaden des 14. Jahrhunderts vor, auf denen sich die Treiber auch immer darum in die Haare kriegten, ob jetzt Sepps oder Franzls Vieh zuerst über die Brücke darf.

Franzl hat nicht gepeilt, dass das in unserer Energiewirtschaft nach seinem und seiner Parteifreunde Willen nur noch auf Gnadenbrot mit untergestellte Kernkraft- und Kohlevieh derzeit den ganzen Bauernhof vor dem Zusammenbruch rettet – durch Bereitstellung von Strom, wenn er tatsächlich gebraucht wird, und von Regelenergie, ohne die die volatile Einspeisung der “Erneuerbaren” nach dem Gesetz “komm ich heut nicht, komm ich morgen” die Netze zusammenbrechen ließe. Die Grafik der Agora Energiewende, die nicht gerade des Kernenergielobbyismus verdächtig ist, aus der vorigen Woche illustriert den erstgenannten Zusammenhang ganz anschaulich: selbst ein Almbauer des 14. Jahrhunderts verstünde die einfache Rechnung, dass, wer mit dem eigenen Vieh nicht genug erwirtschaftet, anderes Vieh mit unterstellen muss, damit niemand am Ende Hunger leidet.

agora

Nähme jedoch die Energiewirtschaft den Untersteller beim Wort und machte die Netze “frei” für den ausschließlichen Durchfluss von Wind- und Sonnenstrom, dann muss man sich die Grafik ohne die grauen Alpengipfel vorstellen, die eine Stromproduktion darstellen, die am Bedarf orientiert ist. Man hätte dann nur noch die blauen und gelben talreichen Mittelgebirge und temporären Tiefebenen. Man hätte folglich, außer mittags und wenn der Wind weht, gar keinen Strom, und auch mittags und wenn der Wind weht, meist zuwenig davon und einige Tage im Jahr viel zu viel. Denn auch Windstrom produzieren wir bei den in Deutschland herrschenden Windverhältnissen meist immer nach dem Prinzip der starrköpfigen Viehtreiber Sepp und Franz, alle zur selben Zeit über die Brücke, und nicht, wie es die Grünen uns immer wieder einreden, regional zeitlich versetzt, sodass “für alle genug da” sei.

Der Untersteller Franz, auch das entnehme ich seiner Biographie, ist kein Elektroingenieur – er ist gelernter Landschaftsarchitekt, der an gewissen Pflanzenformationen in der deutschen Landschaft , vor allem der Spezies Megalo-Asparagus, Gefallen gefunden hat. Er hat jahrelang für das Öko-Institut und für diverse Grünen-Fraktionen als Berater in Sachen Energiepolitik gearbeitet. Jedoch ist Energiepolitik nicht zu verwechseln mit Energietechnik. In seiner gesamten Karriere hat der Untersteller es offensichtlich nie geschafft, sich einfach mal ein Handbuch der Elektrotechnik oder ein Fachbuch über Energienetze zu Gemüte zu führen. Hätte er es getan – dann würde er den Unterschied zwischen installierter und angeforderter Leistung kennen, er wüsste, was Primär- und Sekundärregelung ist, und was Gesicherte Leistung: das ist, zum Mitschreiben für Ökos, Ötzis und Alm-Öhis, das Kernkraftwerk, welches in einem vernünftig geplanten, sicheren Versorgungsnetz hinter tausend Windturbinen steht, als Absicherung und Garantie für eine CO-2-arme und dabei auch noch funktionierende Industriegesellschaft.

Doch er weiß es nicht, der Unterstéller, oder er will es nicht wissen, da es nicht in seine Weltsicht passt. Und daher beglückt er uns, kraft seiner in langen Jahren treu ersessenen energiepolitischen Expertise, nun als Minister mit den energiepolitischen Weisheiten eines Tiroler Viehtreibers im Spätmittelalter.
Danken werden es dem Vieh-Treiber die Be-Treiber. Die Betreiber von Fessenheim, Cattenom und Tihange. Unsere grüne Stromwirtschaft ist nämlich ihre Lebensversicherung. Denn nach der Abschaltung von Grohnde, Philippsburg, Emsland oder Isar muss ja jemand für den deutschen Teil des kontinentaleuropäischen Verbundnetzes den Regelenergetiker-Job von Grohnde und Isar übernehmen.

Und daher werden unsere Nachbarn, wenn bei uns nach der Unterstellerschen Netzsäuberung von lästigen deutschen Kern- und Kohlekapazitäten der Versorgungsnotstand droht, ihr Vieh gerne bei uns unterstellen. Aber nicht nach den Tiroler Konditionen des Spätmittelalters, denen zufolge der Besitzer des fremden Viehs dem Untersteller zu zahlen hat. Im 21. Jahrhundert wird der Untersteller zahlen, versteht sich.


Ruhrkultour Leseempfehlung:

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Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallinn und Triest.
‘Forschungen zur Geschichte und Kultur des Östlichen Mitteleuropa (FGKÖM)’.
Erhältlich bei ► Storchmann Medien

Herausgegeben von Andreas R. Hofmann, Anna Veronika Wendland
Steiner Franz Verlag, Februar 2002, gebunden, 308 Seiten, 58,- Euro, Versand kostenfrei.

Die hier abgedruckten Beiträge gehen auf eine internationale und interdisziplinäre Konferenz des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. in Leipzig zurück, die im Januar 2000 stattfand.

Die in diesem Band versammelten Texte gehen der Frage nach, welche Zusammenhänge es zwischen Raum und Kommunikation gibt. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Schauplatz Stadt und den dort vorzufindenden Öffentlichkeiten? Welche Rolle spielen diese Kategorien zusammen, d.h. in ihrer – möglicherweise spezifischen – Kombination für die Geschichtsregion Ostmitteleuropa? Diese Fragen werden hier in drei Abschnitten: “Städte, Architektur und Politik” – “Multinationale Nachbarschaften, Stadtfeste und Stadtkultur als Öffentlichkeitsform” und “Die Formierung gesamtstädtischer Öffentlichkeiten” untersucht.

Titelbild: almpixel, pixabay

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