“DIE Lügenpresse gibt es nicht”, sagt Sandra Petersmann von Deutsche Welle. Claas Relotius sei “ein gefährlicher Einzelfall”. Sie bittet das Publikum, Journalisten nicht in Sippenhaft für die Verfehlungen einzelner Kollegen zu nehmen. Ist Claas Relotius denn ein Einzelfall?
- Claas Relotius – Lüge und Berufsethos
- Lügen im Mediensystem
- Lügenpresse – ein Unwort?
- Werden die Medien eine Lehre aus dem Fall Relotius ziehen?
Der Einzelfall
Claas Relotius ist kein Irrtum unterlaufen, er hat eigene Geschichten manipuliert, somit den Willen gehabt, Falsches zu sagen, zu täuschen. Er hat gelogen. Den Ressortleitern und einem Chefredakteur des Spiegel hat der junge Journalist gestanden, “schön gemachte Märchen” erzählt zu haben, wann immer es ihm gefallen habe.
Schön gemachte Märchen
Nicht nur dem Spiegel, sondern allen Medien ist sehr daran gelegen, diesen Vorfall als Einzelfall dazustellen. “Wahrheit und Lüge gehen in seinen Texten durcheinander, denn manche Geschichten sind, wie er selbst eingestanden haben soll, sauber recherchiert und frei von Fakes, andere aber komplett erfunden, und wieder andere wenigstens aufgehübscht mit frisierten Zitaten und sonstiger Tatsachenfantasie. Ullrich Fichtner hat sich in einem erstaunlich offensiven Artikel im Spiegel mit dem Fall Relotius auseinandergesetzt.
Der Spiegel weiß natürlich, dass nichts so sehr geeignet ist, das Vertrauen seiner Leser und auch das der Redaktionskollegen untereinander und innerhalb der gesamten Branche zu zerstören, wie die Lüge.
“Jede Lüge ist geeignet, dem Menschen ein falsches Bild von der Wirklichkeit zu geben, das für das Zusammenleben notwendige Vertrauen zu zerstören, die Sprache ihres Wertes als Mitteilungsmittel zu berauben”, sagt der Moraltheologe Karl Hörmann. Erschwert wird die Lüge, wenn die Person ihre Berufspflicht, für die Wahrheit einzutreten, verletzt. Hörmann nennt ausdrücklich Forscher und Lehrer. Auf Journalisten trifft diese Besonderheit der “schweren Lüge” ebenfalls zu.
Berufsethos
“Sagen, was ist”, heißt das publizistische Ideal des Spiegel. Auch heute gelte noch das Statut von 1949, sagt Ullrich Fichtner: “Alle im SPIEGEL verarbeiteten und verzeichneten Nachrichten, Informationen, Tatsachen müssen unbedingt zutreffen [ ] Berichtigungen kann sich der SPIEGEL nicht erlauben.”
Den Medienmachern ist bewusst, dass Lügen etwas Kränkendes für den Belogenen haben, der sich entwürdigt fühlt, wenn er entdeckt, dass er getäuscht wurde. Im Pressekodex, den jeder Journalist anerkennt, heißt es daher: “Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.”
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hebt die grundlegenden Funktionen hervor, die Medien in Demokratien erfüllen: “Sie sollen das Volk informieren, durch Kritik und Diskussion zur Meinungsbildung beitragen und damit Partizipation ermöglichen.”
Die Verantwortung eines Journalisten geht damit weit über die Pflicht zur Wahrheit hinaus. Nicht zufällig werden die öffentlichen Medien, wie Presse und Rundfunk, als “vierte Gewalt” im System der Gewaltenteilung bezeichnet, das auf der Exekutive, Legislative und Judikative beruht. Als “vierte Gewalt” können sie durch Berichterstattung und öffentliche Diskussion das politische Geschehen maßgeblich beeinflussen.
Das Nachrichtenmagazin Spiegel schützt sich vor der Weitergabe falscher Informationen, indem es die veröffentlichten Artikel kontrolliert und mit Hilfe einer eigenen Dokumentationsabteilung, die in Deutschland als einmalig gilt, recherchiert.
Bei Claas Relotius hat die Selbstkontrolle des Spiegel versagt. Eine Ausnahme?
Schadensbegrenzung
Um den Schaden zu begrenzen, stellt der Spiegel seinen Star-Journalisten öffentlich an den Pranger. Claas Relotius habe das Vertrauen zerstört, heißt es. Seine Arbeit habe auf einem Grundvertrauen basiert, das ihm die Redaktion zu Hause geschenkt habe.
Die Lüge hat für Claas Relotius persönliche Konsequenzen. “Der junge Redakteur, der den großen Reporter mimte, hat sein Büro am Sonntag ausgeräumt und seinen Vertrag am Montag gekündigt”, sagt Ullrich Fichtner. Der Spiegel kündigt an, er werde sein Qualitätsmanagement überprüfen.
Er wird hoffen, dass möglichst schnell Gras über die Angelegenheit gewachsen sein wird. So war es bisher immer.
Lügen im Mediensystem
Dass Journalisten lügen, kommt öfter vor. Warum wirbelt der Fall Claas Relotius mehr Staub auf als die Lügen anderer Journalisten, die tagtäglich Unwahrheiten verbreiten?
Die “Familie”
In seinem Geständnis gegenüber dem Spiegel hat Relotius laut Fichtner wörtlich gesagt: “Es ging nicht um das nächste große Ding. Es war die Angst vor dem Scheitern.” Und “mein Druck, nicht scheitern zu dürfen, wurde immer größer, je erfolgreicher ich wurde.”
Zur Debatte steht nicht der Einzelfall Claas Relotius, nicht die Psyche des Journalisten, der dem Druck nicht widerstehen konnte, sondern ins Blickfeld gehört der Druck und das Funktionieren des Journalisten im Medien- und Gesellschaftssystem.
Der Spiegel bezeichnet den Vorfall als einen der größten Tiefpunkte in seiner 70-jährigen Geschichte und zeigt mit dem Finger auf Claas Relotius. Der junge Journalist hat seine Artikel jedoch nicht unter isolierten Bedingungen verfasst. Er pflegte nicht nur engen Kontakt zu allen Redakteuren, die sich ein Bild von seiner Vorgehensweise verschaffen konnten, er arbeitete auch mit anderen Autoren zusammen.
Zuallererst sind also die Kollegen von Relotius zu nennen. Fichtner selbst liefert den wichtigen Hinweis auf eine gemeinschaftliche Verantwortung. Fichtner zitiert einen der Kollegen: Die Affäre fühle sich an “wie ein Trauerfall in der Familie”.
Zur “Familie” gehört, wer ins Weltbild passt. Relotius passte ins Weltbild des Spiegel. Es gab daher für das Magazin keine Notwendigkeit, den Wahrheitsgehalt seiner Artikel zu bezweifeln. Warum auch? Denn der Ausnahme-Journalist war der Liebling aller Medienmacher, der Politik und ein Aushängeschild für den Spiegel.
Nur einer der Co-Autoren, Juan Moreno, der seit 2007 beim Spiegel beschäftigt ist, wurde misstrauisch und begann, Fakten über die Fiktionen seines Kollegen zu sammeln. Dafür riskierte er seinen eigenen Job und ging, wie Ullrich Fichtner einräumt, mehrere Wochen lang “durch die Hölle”, weil Kollegen und Vorgesetzte in Hamburg seine Vorwürfe anfangs gar nicht glauben konnten. Sie hielten Moreno für den Halunken, nicht Relotius.
Die Medien
Claas Relotius hat in den vergangenen elf Jahren unter anderem auch für Spiegel Online, Cicero, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, Financial Times Deutschland, taz, Welt, SZ-Magazin, Weltwoche, ZEIT online, ZEIT Wissen und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geschrieben.
Nicht nur der Spiegel, auch andere wichtige Qualitätsmedien hatten keinen Zweifel an seinen Reportagen.
Die Welt sieht sich als Opfer einer Lüge. Im Unterschied zum Spiegel nimmt die Welt leider die Artikel von Claas Relotius, die er für Welt und Welt am Sonntag geschrieben hat, “vorsorglich” vom Netz, um sie, wie es heißt, einer Prüfung zu unterziehen. Das erschwert den belogenen Lesern allerdings die Kontrolle, womit sie getäuscht wurden.
Die Organisatoren des Deutschen Reporterpreises seien „entsetzt und wütend“, beschreibt die Welt die Stimmung unter den Preisverleihern. Sie hätten dem Journalisten gerade erst eine weitere Auszeichnung für die „beste Reportage“ zugesprochen, die von einem jungen Mann handle, der in Syrien gegen die Assad-Truppen kämpft.
Ein kritischer Leser ahnt, dass die Auszeichnungen für Claas Relotius etwas mit einer politisch korrekten Gesinnung in seinen vom Spiegel aufgelisteten Artikeln zu tun haben könnte.
“Angeblich täuschte er sehr geschickt”, sagt der Journalist und Autor Alexander Wendt zum Fall Claas Relotius. Er widerspricht: “Auch das stimmt nicht: er manipulierte grob – weil er sich sicher sein konnte.”
Geliefert, was verlangt wurde
Kritische Journalisten sehen einen Zusammenhang zwischen den Lügen von Claas Relotius und dem gesamten Mediensystem. Relotius habe lediglich das Spiel der Qualitätsmedien perfektioniert, sagt RT-Chefredakteur Ivan Rodionov. Er habe mit seinem ausgeprägten Gespür für das Gewünschte, wenn auch ungewollt, dem Spiegel und dem Rest der Branche den Spiegel vorgehalten.
Für Dushan Wegner ist Claas Relotius kein Täter, “jedenfalls keiner, der sich gegen das ihn beherbergende System gewandt hätte.” Relotius habe womöglich nur getan, was es braucht, um in linken Leitmedien zu bestehen. “Was nicht passt, wird passend gemacht, nur hämmerte Relotius den entscheidenden Hammerschlag zu viel. Eine Bewertung könnte sein, dass die Fake-Bilder von Merkel beim Pariser Trauermarsch, wie sie der deutsche Staatsfunk verbreitete, und die Phantasie-Berichte des Spiegel-Journalisten nur Abstufungen auf einer Skala darstellen. Ist denn die Irreführung durch Weglassen von Informationen („nur regional interessant“ etc.) und das blanke Erfinden von Fakten moralisch von so verschiedener Qualität?”
Die Fälschungen von Claas Relotius sind keine Einzelfälle, ebensowenig wie der Spiegel ein Einzelfall in der Medienlandschaft ist. Die Glaubwürdigkeit des Spiegel und des Journalismus ist nicht angekratzt oder beschädigt, wie die Welt meint, sie ist verspielt, und das nicht erst seit Relotius. Das gesamte Netzwerk politischer Meinungsmacher, inklusive der öffentlichen Medien und ihres “Familiensinns”, hatte bereits vor dem “Sündenfall” des Spiegel-Journalisten seine Glaubwürdigkeit weitgehend verloren.
“Der Mann hat genau das geliefert, was verlangt wurde und ins Weltbild passte”, sagt mit ähnlichen Worten Dushan Wegner. Er fügt hinzu: “Der Skandal wächst noch, und viele der Beteiligten geloben Besserung, doch wir wissen alle, dass es keine Besserung geben wird, und zwar aus in der Sache liegenden Gründen.”
Zu Tode gefeiert
Der 32-jährige Star-Journalist erhielt vier Deutsche Reporterpreise, den Peter Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Er wurde zum CNN-“Journalist of the Year” gekürt, er wurde geehrt mit dem Reemtsma Liberty Award, dem European Press Prize, er landete auf der Forbes-Liste der “30 under 30 – Europe: Media”.
Claas Relotius wurde regelrecht zu Tode gefeiert, mit Lob und Auszeichnungen gefüttert, bis er platzte und seine journalistische Karriere unter den wachsamen Augen und schließlich unter Mithilfe des Spiegel beendete. Der Kreis der “Familie” hat sich ein eigenes Biotop geschaffen, Relotius war erwischt worden, weil er es übertrieben hatte, und musste gehen.
Im Text „Fünf Tonnen Blech“ legt Dushan Wegner,
Publizist, Videojournalist, Medienwissenschaftler mit abgeschlossenem Philosophiestudium, offen, wie wenig er von Journalismuspreisen hält. Zu offensichtlich scheint ihm, “dass mit diesen Preisen die linksgrüne Journalistenkaste einander für das Bestätigen ihrer Vorurteile und ihres hermetisch abgeriegelten Weltbildes auf die Schulter klopft, bis alle Schultern knirschen.”
Lügenpresse
Eine Schockwelle hat die Medien gestreift. “In unserer unordentlichen Welt waren die Reportagen von Claas Relotius für mich wie Leuchttürme in der Dunkelheit. Sie gaben stimmlosen Menschen eine Stimme. Sie trieben mich als Kollegin und Leserin an, hinzusehen und Machtstrukturen zu hinterfragen”, sagt Sandra Petersmann.
Journalisten möchten nicht für die Verfehlungen einzelner Kollegen in Sippenhaft genommen werden, und die Bezeichnung “Lügenpresse” weisen sie erst recht weit von sich. Die ZEIT-Journalistin Karoline Kuhla zieht in ihrem Buch “Fake News” einen Vergleich zwischen den Begriffen “Lügenpresse” und “Fake News”. Beide Begriffe würden als ein beleidigender Ausdruck für unliebsame Berichterstattung oder Medien verwendet, sagt sie.
Unwort des Jahres 2014
2014 wurde “Lügenpresse” zum Unwort des Jahres bestimmt. Die Begründung lautete, dass die pauschale Verurteilung fundierte Medienkritik verhindere und einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit leiste. Deren akute Bedrohung sei durch Extremismus unübersehbar geworden.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat die Entscheidung begrüßt, den Begriff „Lügenpresse“ als Unwort des Jahres zu ächten. „Lügenpresse“ werde seit Wochen von den Pegida-Demonstranten als Parole Medien und Journalisten entgegen gehalten, weil sie angeblich einseitig über den Islam, die in Deutschland lebenden Moslems und die Anliegen der Pegida-Gruppe informierten, erklärt der DJV. Für den Verband ist der Begriff “Lügenpresse” ein “Kampfbegriff der Nazis”, sein Merkmal sei die Ablehnung des kritischen Journalismus.
Der DJV hoffte, dass durch die Wahl zum Unwort verhindert werden konnte, dass “der Kampfbegriff schleichend in den allgemeinen Wortschatz” überging. Tatsächlich ging es dem DJV aber darum, die vermeintlich ideologisch saubere “Familie” vor Kritik zu schützen.
Das Schlagwort “Lügenpresse” hat jedenfalls eine lange Tradition und ist keine Erfindung der Nationalsozialisten. Es entstand bereits vor 1848 und dient seitdem als Bezeichnung für Medien, besonders Zeitungen und Zeitschriften, die unter politischem, ideologischem oder wirtschaftlichem Einfluss stehen, Informationen verschweigen oder verfälschen und so die öffentliche Meinung manipulieren. Die Bezeichnung ist zur Selbstkontrolle für alle Journalisten, die Machtstrukturen hinterfragen, in die die Medien und damit auch sie selbst integriert sind, unverzichtbar .
Ein Blick in Wikipedia hätte dem DJV genügen können, um die Verwendung des Begriffs im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung zu verstehen.
Oder Lückenpresse?
Die Kritiker haben sich auf die Suche nach einer alternativen Bezeichnung für die “Systemmedien” begeben, um nicht als “Nazis” abgestempelt zu werden. Sie erfanden die Bezeichnung “Lückenpresse”, die aber den Nachteil hat, dass sie den Irrtum nicht von der Lüge trennt. Eine Lücke kann sowohl durch einen Wissensmangel, Selbsttäuschung oder durch bewusstes Verschweigen, also durch eine Lüge entstehen.
Augen: Rechts!
Die besondere Verantwortung ist Journalisten bewusst. Sie wird ihnen in der Regel während ihrer Ausbildung vermittelt, aber offenbar auch vergessen. Denn aus welchem anderen Grund appelliert die DW-Redakteurin Sandra Petersmann: “Wir Journalisten müssen begreifen, dass wir sehr große Verantwortung tragen. Wir sind die Brücke des Dialogs in einer unordentlichen Welt. Wir sind das Korrektiv des Populismus. Wenn wir versagen, wenn wir lügen, dann schaden wir der Gesellschaft. Für die Demokratie steht viel auf dem Spiel.”
Dass bei der Bezeichnung “Populismus” der Blick in der Regel nach rechts, wo Konservative, AfD, Nationalisten, Nationalsozialisten, Faschisten, Rassisten, Klimawandelleugner, Klimaskeptiker in einem Topf landen, und nicht nach links gerichtet ist, zeigt, dass die Lernfähigkeit von Redakteuren und Journalisten von vornherein ideologisch begrenzt ist und sie keine Vorstellung von Machtstrukturen haben, die sie hinterfragen sollen.
Die ideologische Beschränktheit gilt auch für die nicht beabsichtigte Täuschung, für die Selbst-Lüge. Man könne sich derart selbst belügen, “dass man ein an die Schwelle des Bewusstseins gelangtes Wissen, das einer Neigung widerspricht, zurückdrängt und an seine Stelle eine mit der Neigung übereinstimmende Annahme setzt”, sagt Hörmann. In diesem Fall verstoße man nicht gegen die Wahrhaftigkeit im Verkehr mit den Mitmenschen, sondern gegen die Gehorsamspflicht gegenüber dem Gewissen.
Um das Berufsethos von Journalisten zu verstehen, ist diese Interpretation allerdings nicht ausreichend. Denn der Journalist verfügt durch seine Ausbildung über die notwendigen Werkzeuge, mit denen er sich durch sorgfältiges Recherchieren und Prüfen von persönlichen Neigungen distanzieren kann. Diese Werkzeuge dienen seinem eigenen Schutz, Unwahrheiten nicht für wahr zu halten und nicht in Versuchung zu geraten, ihre Mängel durch eigentliche Lügen zu verdecken. Dadurch unterscheidet auch er sich von Psychopathen.
Werden die Medien eine Lehre aus dem Fall Relotius ziehen?
Der Spiegel nimmt die Verantwortung für den Fall Relotius allein auf sich und schützt die anderen Medien. Er reduziert das Problem auf die eine Frage, “wie es Relotius gelingen konnte, jahrelang durch die Maschen der Qualitätssicherung zu schlüpfen”? Das Blatt kündigt die Überprüfung der internen Organisation an. Ist das die passende Antwort, damit sich der Fall Relotius nicht wiederholt? Sicher nicht. Der “stechende Schmerz”, den der Spiegel jetzt zu verspüren glaubt, ist offenbar noch nicht schmerzhaft genug.
Wie sollten Journalisten Machtstrukturen hinterfragen können, wenn sich die Wertevorstellungen der “Familie” längst wie eine Matrix über sie gelegt haben? Stellen Sie jemanden in ein Becken, verschließen ihm die Augen und füllen das Becken mit konstant warmem Wasser, das genau seiner Körpertemperatur entspricht. Er wird das Wasser erst bemerken, wenn es seine Lippen berührt, und er zu ertrinken droht.
Nicht anders ergeht es Journalisten, die in ein “Familien”-System integriert sind, das gegenüber Systemkritik unempfindlich geworden ist, weil es selbst in ein ideologisches System integriert ist. Die Aufregung um Claas Relotius wird bald vergessen und der Journalismus durch ihn nicht mehr oder weniger beschädigt sein als durch andere Journalisten oder Medien vor oder nach ihm.
“Nein, „die Medien“ werden exakt keine Lehre ziehen aus dem Fall Relotius”, sagt Dushan Wegner. “Im Gegenteil: Weil ihr Betrieb weiterlaufen wird, werden sie lernen, dass sie damit durchkommen. Wir aber können den Gutmenschen täglich lauter zurufen: Unsere Realität ist unbequem und politisch nicht korrekt, eure Realität ist aber auf Lügen, Märchen und Wunschdenken gebaut – ich bevorzuge das Unbequeme.”
Der Spiegel schrieb: “Ein Kollege, der viel mit Relotius’ Texten zu tun hatte, sagte Anfang dieser Woche, die Affäre fühle sich an “wie ein Trauerfall in der Familie”.
Nach einem Trauerfall folgt die Beerdigung des Toten, das gemeinsame Essen mit der Familie und das Vergessen.
Faina Faruz
Quellen:
https://www.stjosef.at/morallexikon/luege.htm
https://dushanwegner.com/claas-relotius/
https://www.duden.de/rechtschreibung/Luegenpresse
https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCgenpresse
http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138737/medien
Titelfoto: geralt