Forschungsreaktoren in Deutschland – eine Herausforderung für Kernkraftgegner

Am 11. Juli 2016 fand auf Einladung der Grünen Bundestagsfraktion ein sogenanntes “Fachgespräch Forschungsreaktoren in Deutschland – Probleme und Herausforderungen” im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages statt. Jan-Christian Lewitz, Beirat/Member of Advisory Board bei Dual Fluid Reaktor, hat daran teilgenommen. Sein Fazit sei vorweggenommen: “Das Ziel der Grünen scheint klar, alle kerntechnischen Einrichtungen in Deutschland und danach vermutlich in der EU zu schließen – sofern wir sie weiter an der Macht beteiligen.”

Der Kommentar von Jan-Christian Lewitz nimmt Bezug auf einen Artikel in der taz, “Grünen-Debatte um Forschungsreaktoren, Gespaltene Gesellschaft”, 13.7.2016.

Foto: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Es geht um die drei Forschungsreaktoren, die in der Benutzung sind und vom Ausstiegsbeschluss nicht erfasst wurden: Der Berliner Forschungsreaktor BER II am früheren Hahn-Meitner-Institut, dem heutigen Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB), der Mainzer Forschungsreaktor TRIGA Mark II an der Uni Mainz und der Garchinger Forschungsreaktor FRM II an der TU München, die ebenso wie die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen laut taz von der Leiterin des Fachgespräches, Sylvia Kotting-Uhl MdB, Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion für Atompolitik, als “Atomfabriken” bezeichnet wurden.

 

Jan-Christian Lewitz

Es war eine der üblichen Veranstaltungen der Anti-AKW-Bewegung, Krebserkrankungen in der Familie und bei Nachbarn, für die es keine Begründung gibt, also muss die Atombranche dafür herhalten. Mein erster Redebeitrag brachte deshalb das Argument der wissenschaftlichen Beobachtungen zum C0-60 Ereignis in Taiwan (siehe u.a. http://www.jpands.org/vol18no3/robinson.pdf). Er wurde von der Leiterin des Fachgespräches, Sylvia Kotting-Uhl MdB, Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion für Atompolitik, mit der Aussage zurückgewiesen, dass ja gerade dieser Biopositive Effekt zeige, dass es einen Effekt gäbe und man nur den negativen hier nicht sehen würde. Fragen zur Entstehung des Lebens auf der Erde unter wesentlich höherer Strahlenexposition vor Milliarden von Jahren und die Ausbildung von Reparaturmechanismen für durch Strahlung induzierte DNA Defekte sind in so einer unwissenschaftlichen Umgebung natürlich nicht möglich. Erstaunlich ist nur, dass es den Anschein hat, dass die Grüne Bundestagsfraktion völlig auf fundierte, externe, wissenschaftliche Beratung verzichtet.

Palmer

Mein zweiter Beitrag ging auf das Thema “Endlagerung”, Partitioning und Transmutation (Abtrennung und Umwandlung), eine Technologie, die uns das Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle ersparen kann. Diese Technologie wurde von MdB Kotting-Uhl mit dem Verweis auf die durchgeführten Untersuchungen und eingeholten Expertisen zurück gewiesen. Es blieb mir nur die laute Aussage, dass die Grünen nicht zukunftsfähig seien, da sie den aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung ignorieren würden (das im Endlagersuchbericht dargestellte PUREX Verfahren wurde 1947 patentiert und aktuell entwickelte Verfahren wie fraktionierte Destillation von Brennstoffchloriden und vollständiger Abband in kleinen Reaktoren mit sehr hohen Neutronenenergien wurde trotz mehrfacher Einwände durch Wissenschaftler nicht berücksichtigt).

Die anwesenden pro-nuklear-Vertreter aus München, Rossendorf und Dresden waren sich allesamt einig, dass es wichtig ist, dem ideologischen und unwissenschaftlichen Standpunkt der Grünen öffentlich zu widersprechen und dass sich die Teilnahme deshalb gelohnt hat.

Das Ziel der Grünen scheint klar, alle kerntechnischen Einrichtungen in Deutschland und danach vermutlich in der EU zu schließen – sofern wir sie weiter an der Macht beteiligen.

 

Jan Christian Lewitz
Jan Christian Lewitz

Dipl.-Phys. Jan-Christian Lewitz

Studium am Portland Community College, Oregon, USA, an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und an der TU Dresden. 1993 Diplom in Strahlenschutzphysik. Seit 1993 internationale technisch-organisatorische Tätigkeit im Bereich Energie und Umwelt mit Schnittstellen zu Wissenschaft, Militär und Politik. Seit 2002 selbständig; Gründer, Inhaber und Geschäftsführer LTZ-Consulting GmbH.

Die “Atomfabriken”

“Wir wollen aber, dass auch diese Atomfabriken stillgelegt werden”, sagte Sylvia Kotting-Uhl laut taz auf der Veranstaltung. Bei den “Atomfabriken” geht es um die Urananreicherungsanlage in Gronau, die Brennelementefabrik in Lingen und um die Forschungsreaktoren, die von dem Ausstiegsbeschluss nicht erfasst seien.

Forschungsreaktor II und Atomei (FRM), TUM©
Forschungsreaktor II und Atomei (FRM), Foto: TUM©

Eine besondere Rolle spielt der FRM II, der für die Verwendung von hoch angereichertem Uran konzipiert wurde. Die bei der Kernspaltung entstehenden Neutronenstrahlen hätten zwar eine bessere Qualität für die wissenschaftlichen Experimente, habe Wolfgang Liebert vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur in Wien eingeräumt, berichtet die taz, aber trotzdem handle es sich um „einen Waffenstoff, der nicht in den zivilen Bereich gehört.“ Der Münchener TU-Physiker Winfried Petry habe das FRM-Vorgehen verteidigt und bekräftigt, „Deutschlands Wissenschaft ist stolz auf den FRM II“, woraufhin ein Protestschrei durch die Bundestagsrunde gegangen sei, berichtet die taz: „Nein! Überhaupt nicht!“.

Dem Bundestag fehlt eine qualifizierte, externe, wissenschaftliche Beratung. Er kann die Leistung und Bedeutung deutscher Physiker und Ingenieure aus dem Bereich der Kernphysik für die Lösung des Energieproblems nicht bewerten. Hinter einem ideologischen Schutzschild beobachten die Politiker  argwöhnisch und abwehrend die Entwicklungen neuer Kernkraftwerks-Generationen in Asien, Europa und den USA. Warum sollten sie sich auch um Wissen bemühen, denn für sie ist die Kernenergie Tabu und, wie Jan-Christian Lewitz sagt: “Das Ziel der Grünen scheint klar, alle kerntechnischen Einrichtungen in Deutschland und danach vermutlich in der EU zu schließen – sofern wir sie weiter an der Macht beteiligen.”

In der taz wurde ein wichtiger Diskussionsbeitrag nicht erwähnt, der in der Einladung jedoch eine zentrale Rolle spielte, dass nämlich im bayerischen Forschungsreaktor FRM II hochangereichertes Uran verwendet werde, das waffenfähig sei. Bei der geplanten Abreicherung komme es immer wieder zu Zeitverzögerungen hieß es in der Einladung. “Diese Aspekte der Bedrohung und Sicherung wollen wir in einem Fachgespräch zu den Forschungsreaktoren FRMII in Garching bei München, dem BER II in Berlin und dem TRIGA Mark II Reaktor in Mainz thematisieren.”

Dazu schreibt Jan-Christian Lewitz: “Wolfgang Liebert hatte in seinem Vortrag vorgeschlagen, einen Kompromiss zu suchen, um von maximal 90 % Anreicherung des Uran 235 weg zu kommen. Es wäre möglich, in einer Übergangsphase mit maximal auf 45 bis 50 % angereichertem Uran in hochdichten Materialien zu arbeiten und weiter daran zu forschen, solche hochdichten Materialien zu entwickeln, die alle für den Reaktorbetrieb erforderlichen Eigenschaften – wie insbesondere geringer Volumenausdehnungskoeffizient unter Neutronenfluss (damit die schmalen Kühlkanäle offen bleiben) – aufweisen, dass sie zum Einsatz bei nur maximal 20 % Anreicherung (LEU) geeignet sind. Dieser wichtige Beitrag wird im taz Bericht gar nicht erwähnt. Mit so einem Kompromiss, der nur mit geringen und – so schien es im Fachgespräch zu sein – für den Betreiber akzeptablen Leistungseinbußen im Reaktorbetrieb verbunden wäre, wären bereits mindestens 40 % der 70 % Reduktion in der Anreicherung von 90 % HEU zu 20 % LEU erreicht.
Bei einer Anreicherung von 85 % U-235 wird von „Weapons Grade“ Anreicherung gesprochen. Der Bereich zwischen 20 % und 85 % unterliegt der politischen Bewertung wie groß der Sicherheitsabstand zu waffenfähigem Spaltmaterial sein soll.”

Ein Kommentar bei Facebook verweist auf ein grünes Paradoxon

Ein Kommentar auf der Facebookseite “Pro Kernkraft” verdeutlicht eines von vielen Paradoxa der Kernkraftgegner, die den mangelnden Schutz gegenüber Flugzeugabstürzen, Erdbeben und “neue Bedrohungslagen wie die Gefahr von Anschlägen durch Terroristen oder Innentäter” beklagen. Ihnen liegt offenbar die Rettung menschlichen Lebens am Herzen.

Über die Forschungsreaktoren schrieb Domi W.: “In diesen Reaktoren wird auch nicht nur Forschung betrieben. Der FRM-II produziert etwa neutronendotiertes Silizium, das in leistungselektronischen Bauelementen Anwendung findet – die landen dann ironischerweise häufig in Windkraftanlagen, Elektroautos oder Wechselrichtern für Solaranlagen. Auch Isotope für die Strahlenmedizin werden in diesen Reaktoren zum Teil hergestellt, und in Mainz wird etwa an der BNC-Therapie zur Krebsbehandlung geforscht, die direkt mit Neutronenstrahlen arbeitet.
Von diesen Reaktoren geht also nicht nur kein relevantes Risiko aus, sie retten auch mehr oder weniger unmittelbar Leben.
Die einzige Alternative zum Betrieb dieser Reaktoren in Deutschland ist de-facto ein Abschieben von Kompetenzen und Ressourcen ins Ausland.”


Anmerkung der Redaktion

der Vollständigkeit halber fügen wir noch eine Kurzbeschreibung der wissenschaftlichen Ausbildung von Sylvia Kotting-Uhl hinzu, nicht um diese geringzuschätzen, sondern um deutlich zu machen, dass eine als “Fachgespräch Forschungsreaktoren in Deutschland – Probleme und Herausforderungen” angekündigte Veranstaltung von der Moderatorin entweder strikte Neutralität oder fachliche Kompetenz verlangt.

Sylvia Kotting-Uhl
MdB, Bündnis 90/Die Grünen, ist seit 2009 atompolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Sie studierte Germanistik, Anglistik, Kunstgeschichte und Psychologie. Gearbeitete hat sie als Dramaturgin, führte mehrere Jahre ein „alternatives Leben im Kraichgau mit Selbstversorger-Tendenzen“, baute eine Kinderwerkstatt auf, die sie über zehn Jahre leitete. Eigene Fachbeiträge sucht man vergebens. (Nachzulesen bei Wikipedia und auf der Homepage von Sylvia Kotting-Uhl)

 

Titelfoto: Forschungsreaktor II und Atomei (FRM), Foto: TUM©

 

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