Hessen bereitet sich seit einigen Monaten mit zahlreichen Veranstaltungen auf seinen 70. Geburtstag vor. Am Donnerstag, den 1. Dezember 2016, endet die Veranstaltungsreihe mit einer Geburtstagsparty und einem Feuerwerk in Wiesbaden. Der Festakt im Staatstheater Wiesbaden hat eine besondere Symbolik, weil in dessen Räumen Hessens Geschichte geschrieben und maßgeblich beeinflusst wurde. Das Theater war 1946 Tagungsort des Beratenden Landesausschusses, der die Weichen für den demokratischen Aufbau des neuen Bundeslandes stellte. Zur Erinnerung daran, dass es Bürgerpolitik nur mit dem Willen der Bürger und nicht gegen sie geben kann, findet vor dieser historischen Kulisse am 1. Dezember 2016 eine Demo hessischer Bürgerinitiativen statt, die gegen die Zerstörung der hessischen Landschaft durch Windkraftindustrieanlagen protestieren werden.
Bis zur Geburtstagsparty am 1. Dezember wird nach dem Willen der Landesregierung im Jubiläumsjahr 2016 auf mehr als 150 Veranstaltungen gezeigt worden sein, “was das Land und seine Menschen ausmacht.” Zu den gravierendsten Veränderungen, die in Hessen zurzeit stattfinden, gehört der Ausbau von Windkraftanlagen. Den hält die Landesregierung Hessens für notwendig, um bis 2050 die Energie Bundeslandes zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen beziehen zu können, zeigt sich aber gegenüber Einwänden taub.
Um auf die drohende Zerstörung der Lebensgrundlagen aufmerksam zu machen, werden Mitglieder aus über 100 hessischen Bürgerinitiativen am Donnerstag, den 1. Dezember 2016, mit einer Kundgebung bei den Abschlussfeierlichkeiten dabei sein. Der hessischen Landesregierung soll unmissverständlich vermittelt werden, dass die Bürger mit der planlosen Ausrichtung der Energie- und Umweltpolitik der Bundes- und der hessischen Landesregierung nicht einverstanden sind.
Dem Windkraftausbau in Schwachwindgebieten haben die Bürgerinitiativen wichtige Argumente entgegen zu setzen. Sie halten ihn für sinnlos, Subventionen würden missbraucht und Steuergelder (EEG-Umlage) verschwendet, Wald-, Feucht-, Naturschutz und Wasserschutzgebiete zerstört, sagen sie. Es gebe keinen plausiblen Grund, die Gesundheit der Bevölkerung durch Infraschall und optische Bedrängung zu gefährden, den Werteverfall von Grund, Boden und Eigentum, die Zerstörung von Naherholungsgebieten in naturnahen Landschaften und die willkürlich festgelegten Abstände hinzunehmen. Die Demonstration richtet sich auch “gegen die bewusste Täuschung der Bürger und gegen Desinformation.”
Den hessischen Bürgerinitiativen geht es um mehr, als um die fragwürdige Methode, mögliche Einnahmen für die Kommunen zu generieren. Sie wollen der hessischen Landesregierung am 1. Dezember zeigen, was sie unter Verantwortungsbewusstsein verstehen. Anstatt auf unsichere Geldeinnahmen zu spekulieren, verteidigen sie den Erhalt ihrer Lebensgrundlage. Eine “intelligente Energiewende” lehnen sie nicht ab, sofern sie nicht das zerstört, was sie und die nächsten Generationen zum Leben brauchen: „Lebensräume für Mensch und Natur“.
Einen Hauch von Selbstkritik zeigt die hessische Landesregierung – ohne Konsequenzen
Beim Beteiligungsverfahren 2014 waren allein beim Regierungspräsidium Darmstadt 30.000 Stellungnahmen eingegangen. Der Ministerpräsident Hessens, Volker Bouffier, hatte sich davon nicht beeindrucken lassen. Im Interview mit dem Darmstädter Echo (Ausgabe vom 24. Juni 2014) kommentierte er die Flut an Stellungnahmen zur Windkraft mit den Worten: “Wenn Sie große Vorhaben planen, haben Sie häufig tausende von Einwendungen.” Er spielte die Bedeutung der Proteste nicht nur herunter, sondern stellte die Einwendungen als gewollt dar: “… es entspricht genau dem, was wir wollten: eine frühzeitige und ausführliche Bürgerbeteiligung, um dann in einem offenen und transparenten Prozess zu entscheiden.” Für die Bürger ist aber nicht entscheidend, dass sie ihrem Ärger Luft machen dürfen, sondern dass das Ergebnis stimmt oder, wie Volker Bouffier über Windkraftanlagen bemerkte: “Das Entscheidende ist für mich nicht die Anzahl, sondern welche Leistung erzielt wird.”
Ginge es tatsächlich nach der Leistung, würde vermutlich keine einzige Windkraftindustrieanlage gebaut. Aber es existiert ein politischer Beschluss auf Bundesebene, zu dem den meisten Landes- und Kommunalpolitiker nichts besseres einfällt, als Gesprächskreise anzubieten und zu versuchen, wie Volker Bouffier sagt, “einen Konsens zu finden”. Zur Unterstützung bietet die Landesregierung den betroffenen Kommunen Beratung und Mediation an. Das Ergebnisses des Konsenses steht allerdings von vornherein fest (Energie zu 100 Prozent aus “erneuerbaren” Quellen bis 2050, dafür stehen zwei Prozent der Landesfläche zur Verfügung). Die Protestspitzen sollen geglättet werden, aber der Ausbau soll weiter voranschreiten, dann eben an einem anderen, weniger umstrittenen Ort.
Der Ministerpräsident Hessens räumte ein, dass Interessengegensätze häufig entstünden, wenn die Gemeinden hofften, mit Windkraftanlagen Geld zu verdienen. Er sieht hier ein generelles Problem: “Die Gemeinden hoffen, Geld zu verdienen. Da bin ich ohnehin schon vorsichtig. Wenn die Förderkulisse sich ändert, ist das vielleicht auch weg.” Die wirtschaftliche Katastrophe droht allerdings nicht nur bei einer Änderung der “Förderkulisse”, sondern auch bei geringerem Windaufkommen als vorausgesagt und anderen finanziellen Risiken, die tabuisiert werden. Die technisch und kaufmännisch meist unerfahrenen Mitglieder von Gemeinderäten sind dem Druck großer Investoren meist hilflos ausgeliefert.
Volker Bouffier sieht auch, dass Windkraftanlagen zu Streitigkeiten zwischen den Kommunen führen: “Sie bauen die Windräder dann vorzugsweise hinter den Hügeln vor dem Wohngebiet der Nachbargemeinde. Da frage ich immer: Warum tut ihr euch nicht zusammen? Wenn die Erträge auch in die Nachbargemeinde kommen, ist die Diskussion vielleicht schon ein bisschen anders.” Welche Erträge? Die Erträge, die der Ministerpräsident selbst in Zweifel gezogen hat? Es ist sicher, dass es in Zukunft für viele Kommunen keine Erträge geben wird und sie sich durch unsinnige Energieprojekte immer weiter verschulden werden oder verwahrlosen. Sicher ist jedoch: Das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) hat Zwietracht zwischen vielen Kommunen gesät und Erfolg oder Misserfolg vom Wind abhängig gemacht.
Der Kampf um die Zukunft
Den hessischen Bürgerinitiativen geht es um den Erhalt der Lebensgrundlagen für alle Menschen, um die Heimat und Zukunft der Kinder und Kindeskinder, die sie bedroht sehen. Durch Mediation kann diese Bedrohung auch nicht hinweg geredet werden, weil Windkraftanlagen sehr häufig bewirken, was ein großer Teil der Bevölkerung befürchtet: Die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Gilt dies als ein besonders schweres Verbrechen? Sollten die Lebensgrundlagen leichtfertig in Gefahr gebracht werden, sagen die Bürgerinitiativen, frei nach Berthold Brecht, müssten: „WIR eines Tages nicht nur die Worte und Taten der Politiker bereuen, sondern auch das furchtbare Schweigen der Mehrheit.“
Deutlicher wird die hessische Landesverfassung. Schwarz auf weiß steht in Artikel 21: Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, kann er “bei besonders schweren Verbrechen (…) zum Tode verurteilt werden”. Die Todesstrafe ist in Deutschland seit Jahrzehnten abgeschafft, Bayern hat sie per Volksentscheid 1998 aus dem Gesetzestext gestrichen, in Hessen ist bislang kein Volksentscheid geplant. In Hessen existiert diese Art der Strafmaßnahme noch.
Im Unterschied zu Bundes- und Landespolitikern können Kommunalpolitiker persönlich angeklagt und belangt werden. Aber um ihr Leben müssen sie nicht fürchten, denn kein hessischer Richter kann sich auf Artikel 21 berufen, weil das Grundgesetz die Todesstrafe längst abgeschafft hat.
Folgender Ablauf der Kundgebung ist vorgesehen:
10:45 Treffpunkt auf dem Kaiser-Friedrich-Platz gegenüber vom hessischen Staatstheater
11:00 Start der Kundgebung mit verschiedenen Sprechern
Ca. 13:00 Ende der Kundgebung (Luftballons aufsteigen lassen!)
…nach Abschluss der Kundgebung ist der Besuch des Weihnachtsmarktes auf dem Schlossplatz möglich.
Alle weiteren Informationen über Anfahrt, Parkmöglichkeiten, Kontaktadressen usw. gibt es
HIER: Einladung zur Demo
Die Zeichnungen comic-hessenland stammen von Daniel Niedick, www.dn-grafik.de
Ruhrkultour Leseempfehlung:
Die Energiewende soll unser Klima retten – doch sie zerstört die Natur und die letzten halbwegs unberührten Landschaften. Flächendeckend wird das Land mit Windrädern vollgestellt, Vögel und Fledermäuse verenden elendiglich in den Rotoren der riesigen Windkraftwerke. Mais und Raps, großflächig als Energiepflanzen angebaut, laugen die Böden aus und zerstören die Brutstätten ohnehin gefährdeter Vogelarten.
Und der Ertrag all dieser Verwüstungen? Es bräuchte die gesamte Fläche des Saarlandes, um gerade einmal 20 % unseres Stroms durch Windkraft zu erzeugen. Dabei gäbe es einfachere Mittel, eine Energiewende zu verwirklichen: Allein die Reduktion des Kraftstoffverbrauchs im Verkehr um 8 % könnte alle derzeit aktiven Windräder überflüssig machen. Ein überfälliges Debattenbuch!