Der Wind, der Bund, das Land und die Kommunen

Der Streit um den Bau von Windenergieanlagen spaltet Länder und Gemeinden. Die Länder sollen nach einem Regierungsentwurf nun selbst bestimmen können, zu welchen „zulässigen baulichen Nutzungen“ durch Windenergieanlagen Mindestabstände einzuhalten sind.

Foto: Steve Sutherland
Foto: Steve Sutherland

Das hört sich positiv an, der Pferdefuß steckt woanders.

Die Staaten in der Europäischen Union haben sich 1985 in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung [1] verpflichtet, eine kommunale Souveränität zu gewährleisten. Dadurch sollte das Recht der Bürger auf Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten gewährleistet werden. Dieses Recht der kommunale Gebietskörperschaften (Gemeinden, Städte) wird als “eine der wesentlichen Grundlagen jeder demokratischen Staatsform” verabschiedet. Der “Schutz und die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung” stelle in den verschiedenen europäischen Staaten einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines Europa dar, “das sich auf die Grundsätze der Demokratie und der Dezentralisierung der Macht gründet.”

Die europäischen Staaten waren sich einig, dass das “Recht der Bürger auf Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten einer der demokratischen Grundsätze ist, die allen Mitgliedstaaten des Europarats gemeinsam sind” und überzeugt, “dass dieses Recht auf kommunaler Ebene am unmittelbarsten ausgeübt werden kann.”

Die Flächen der Gemeinde

Das Recht der Bürger, an den Entscheidungsprozessen teilzunehmen, die ihren unmittelbaren Lebensraum betreffen, betrifft insbesondere auch Grundstücke und Flächen ihres Gemeindegebietes. Diese sind nach “Innenbereich” und “Außenbereich” unterteilt. Als „Außenbereich“ werden Grundstücke und Flächen bezeichnet, welche außerhalb von zusammenhängenden Bebauungen und somit nicht im Geltungsbereich von qualifizierten Bebauungsplänen liegen. Grundsätzlich darf im Außenbereich nicht gebaut werden; für diese Flächen gelten sehr strenge Regeln, die durch § 35 des Baugesetzbuches (BauGB) festgelegt sind. Die Regeln “dienen der Verhinderung der Landschaftszersiedlung und der daraus zwangsläufig resultierenden Eingriffe in die Natur.” [1] Allerdings bestehen gemäß § 35 BauGB einige Ausnahmen, welche unter bestimmten Voraussetzungen eine Bebauung des Außenbereichs dennoch gestatten.

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Privilegierte Bauvorhaben und die besonderen Rechte für eine besondere Gruppe von Menschen

Eine besondere Rolle spielen “privilegierte Bauvorhaben“. Über eine Genehmigung des entsprechenden Bauvorhabens, beispielsweise Windenergieanlagen, entscheidet nicht die Baugenehmigungsbehörde, sondern die Bauvorhaben müssen, wenn die hierfür benötigten Voraussetzungen gegeben sind, genehmigt werden.

Der § 35 BauGB wurde im Jahr 1997 geändert. Seitdem stehen die Bürger und die Gemeinden in der Beweislast, nachzuweisen, warum keine Windenergieanlagen aufgestellt werden sollten. 2009 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass ein Bauvorhaben genehmigt werde, wenn es “der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dient” [BVerwG, 22.01.2009, BVerwG 4 C 17.07, 18.07].

Jedem Bundesland ist es nach § 35 BauGB möglich, sein Einverständnis zu einem privilegierten Bauvorhaben zu geben und somit die Regelung für den Außenbereich auch gegen den Willen der Gemeinde zu erzwingen. In letzter Konsequenz werden dadurch bestimmten Gruppen von Menschen besondere Rechte eingeräumt.

Die Länder

Am 08.04.2014 hat das Bundeskabinett den “Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen” beschlossen. Die Regierung trägt damit dem Umstand Rechnung, dass an vielen Orten wegen der zu geringen Entfernung von Windenergieanlagen  zu Wohnnutzungen keine Akzeptanz besteht und reagiert insbesondere auf entsprechende Initiativen der Bundesländer Bayern und Sachsen. Der Entwurf sieht unter anderem folgende Regelungen vor:

  • Die Länder sollen selbst bestimmen können, zu welchen „zulässigen baulichen Nutzungen“ durch Windenergieanlagen Mindestabstände einzuhalten sind. Sie können wie bisher durch Landesgesetz die „Anwendung“ des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auf Windenergievorhaben, die einen bestimmten Abstand einhalten, beschränken, sie können auch starre Abstände beschließen.  Die Länder müssten nach dem Entwurf ein solches Landesgesetz bis 31.12.2015 verkündet haben. Die Länder sollten laut Entwurf auch eine Abweichungsmöglichkeit von den jeweiligen landesgesetzlichen Mindestabständen regeln dürfen.
  • Der neue Entwurf überträgt den Ländern zwar gänzlich die Verantwortung, aber sie müssen der Privilegierung der Windenergie gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB und dem bundesverwaltungsgerichtlichen Postulat, der Windenergie „substantiell Raum zu verschaffen“, auch in Zukunft Geltung verschaffen. “Eine völlige „Verbannung“ der Windenergienutzung aus einem Bundesland kann daher auch dieser sehr weitgehende Gesetzesentwurf nicht ermöglichen.” [3]

Die Kommunen

Der Entwurf des Bundeskabinetts lässt die kommunalen Belange völlig außen vor; sie hängen in ihrer Planung komplett vom guten Willen des Landes ab. Den Kommunen wird keine Möglichkeit gegeben, in ihren Bebauungsplänen einen Abstand von Windkraftanlagen zum Schutz der Wohnbebauung zu sichern.

Eine neue Abstandsflächenregelung im Hinblick auf die Interessen der Anwohner ist nach dem Entwurf nicht erforderlich. Diese sind zum Schutz der benachbarten Wohnbevölkerung durch bundesrechtliche immissionsschutzrechtliche Regelungen, z.B. aus der TA Lärm, festgelegt. Der Nachweis, dass gegen diese Regelungen verstoßen wird, liegt bei den Kommunen bzw. den Bürgern.

Die Bürger, die ihren Lebensraum verteidigen wollen, sehen sich zunehmend genötigt, eine Klärung durch verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung herbeizuführen, die inzwischen auch berücksichtigt, dass von Windenergieanlagen  eine optisch bedrängende Wirkung  ausgehen kann. Das Bestreben, pauschale Abstände gesetzlich festzulegen, wird von mancher Seite als überflüssig betrachtet, weil den Interessen der Anwohner durch strenge Anforderungen an die Abwägung bei der Konzentrationszonenplanung für Windenergieanlagen  hinreichend Rechnung getragen werde. 

Der Kabinettsentwurf und die Folgen für die Windkraft, aus Sicht der Grünen 

Einer der bekanntesten Verfechter der Erneuerbaren Energien ist Hans-Josef Fell: “Das Bundeskabinett und die Bayerische Staatsregierung haben gestern den Ausstieg aus jeglicher vernünftigen Windkraftplanung eingeleitet und das Ende eines substanziellen Ausbaus der Windkraft in Bayern, aber prinzipiell auch bundesweit beschlossen”, meint Fell.[4] Er ist der ehemalige energiepolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, von 2005 bis 2011 Vizepräsident von EUROSOLAR und mehrere Jahre Geschäftsführer der Hammelburger Solarstromgesellschaft. Hans-Josef Fell wurde 2013 nicht wieder in den Bundestag gewählt.

Auf seiner persönlichen Homepage verurteilt Hans-Josef Fell den Entwurf des Bundeskabinetts, es habe “den Ausstieg aus jeglicher vernünftigen Windkraftplanung eingeleitet und das Ende eines substanziellen Ausbaus der Windkraft in Bayern, aber prinzipiell auch bundesweit beschlossen.” [4] Fell spielt die Interessen von Naturschützern und Menschen, die in Nachbarschaft mit Windkraftindustrieanlagen leben sollen, gegeneinander aus. Der Preis für den Schutz seltener Vögel sind für ihn kürzere Abstände der Windenergieanlagen zur Wohnbebauung. Bei Abständen von 2.000 Metern von der Wohnbebauung, wie in Bayern derzeit vorgesehen, würden nicht mehr genügend geeignete Flächen übrig bleiben. Zudem würde der “notwendige Schutz seltener Arten den Bau der Windkraft völlig verhindern”.
Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet ein Sprachrohr der Grünen und Verfechter der privilegierten Bauvorhaben zugunsten von Windenergieanlagen, die Pläne Bayerns als “neue Qualität des Verbotes” diskriminiert. Fell: “Der bayerische Gesetzesentwurf kommt, wenn er in seiner Absicht voll greift, einem Verbot des Neubaus von großen modernen Windkraftanlagen gleich, da für ihren Bau dann faktisch keine Flächen mehr zur Verfügung stehen würden. Es ist erschreckend zu sehen, wie diese neue Qualität des Verbotes vom Ausbau einer Erneuerbare-Energien-Technologie von allen Beteiligten auf Bundes- und Landesebene durchgewunken wird.” [4]

Auch Juristen weisen darauf hin, dass mit der Länderöffnungsklausel “den Bundesländern die gesetzgeberische Möglichkeit eingeräumt werde, aus sachfremden Erwägungen unter dem Deckmantel vermeintlich erforderlicher Abstandsfestlegungen tatsächlich den Ausbau der Windenergie erheblich auszubremsen.” [5]

Fazit

Die Bundesregierung hat sich nicht zu einem generellen Stopp des Ausbaus von Windenergieanlagen bereit gefunden. Dies wäre angesichts der chaotischen Entwicklung des massiven Ausbaus von Windenergieanlagen und der Massenbewegung gegen die Anlagen dringend notwendig gewesen. Der Einfluss der verschiedenen Lobbygruppen der Öko-Industrie ist offenbar zu stark geworden ist, so dass die Bürger zunehmend auf Eigenhilfe angewiesen sind, teilweise auch gegen ihre eigenen, schlecht beratenen Gemeindevorstände vorzugehen, wenn sie ihr Recht auf Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten wahrnehmen wollen. In Deutschland gibt es inzwischen mehr als 300 Bürgerinitiativen, die um den Landschafts- und Tierschutz und ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit gegen Windlärm, Infraschall und Schlagschatten kämpfen.

Quellen

Gesetze und Gesetzesentwürfe

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