Die “Netzfrauen” bitten ihre Leser, bei der Suche nach einem angeblich verschwundenen Jungen mitzuhelfen. “HELFT, FELIX ZU FINDEN!” lautet die Überschrift. Felix habe einen Brief geschrieben, der solle geteilt und Biyon Kattilathu, an den der Brief gerichtet ist, geholfen werden, Felix zu erreichen. Netzfrauen: “Lass uns gemeinsam ein Zeichen gegen „Mobbing“ setzen. Danke für deine Hilfe!!”
Die Netzfrauen (209.456 Likes bei Facebook) sagen, sie seien gebeten worden, diesen Aufruf zu verbreiten. “Wir erhoffen uns, mit diesem Beitrag dazu beitragen zu können, dass Felix gefunden werden kann”, schreiben sie. Fast 900 mal wurde diese Mitteilung bei Facebook von Netzfrauen-Sympathisanten geteilt, in blindem Vertrauen darauf, dass der Junge tatsächlich verschwunden ist.
Der Brief selbst enthält keinen Hinweis auf das mögliche Verschwinden von Felix.
Zuerst ins Internet gelangte der Brief offenbar am 17.09.2016 durch Biyon Kattilathu, der sich “Motivationscoach, Autor und Motivationstrainer” nennt. Der Berliner Kurier bezeichnet ihn weniger respektvoll als “selbsternannten indischen – und zugegeben recht hübschen – Guru.” Dem Brief von Felix, den Biyon Kattilathu nach eigenen Angaben an taff (ProSieben) weiter geschickt hat, fügte Kattilathu offenbar den Hinweis hinzu, dass Felix verschwunden sei. Hinterfragt haben die Netzfrauen die Behauptung offenbar nicht.
Nur 16 mal wurde die Nachricht von Biyon Kattilathu (bei 44.136 Likes für seine Facebookseite!) geteilt. “Du bist der Hammer Biyon. Meine Unterstützung für die Zukunft hast du ab jetzt mit Sicherheit auch!…”, hieß es in einem der 9 Kommentare, ein glatter PR-Erfolg. Aber es wurde von einem anderen Leser auch gefragt: “Warum versuchst du nicht Felix über ein Video von dir zu erreichen wenn er die doch gern schaut !?”
Möglicherweise wird der Junge vermisst, aber ist es auch wahrscheinlich? Wer danach fragt, wird von den Netzfrauen zurechtgewiesen, wie zum Beispiel Anett, die von den Netzfrauen Details zur Vermisstenmeldung wissen wollte und die Antwort erhielt: “Sie scheinen hier überfordert zu sein.”
Weil viele Facebook-Mitglieder den Umgang der Netzfrauen mit berechtigten, kritischen Fragen als unverschämt empfinden und satt haben, aus nichtigen Gründen blockiert wurden, haben sie bei Facebook eine Gruppe unter dem Namen “Gesperrt bei den Netzfrauen” gebildet. Im Verhältnis zu den Netzfrauen ist die Mitgliederzahl sehr gering, sie hat derzeit erst 186 Mitglieder.
Die Gegen-Gruppe beanstandet dubiose Meldungen der Netzfrauen, fehlende Quellenangaben, Plagiat, Alarmismus, Eitelkeit, Selbstüberschätzungen, Rechthaberei, Drohungen und persönliche Angriffe auf Leser. Besonders verärgert sind viele darüber, dass die Netzfrauen oft wiederholen, dass sie lediglich ihre Pflicht als “Mütter und Großmütter”wahrnehmen. Sie vermuten, dass die Netzfrauen versuchen, sich durch ihre scheinbar aufopferungsvolle, selbstlose Tätigkeit unangreifbar zu machen.
Der Brief von Felix ist offenbar der Aufhänger für ein Problem der Netzfrauen. Es geht, wie auf der Homepage in einer langen Liste nachzulesen ist, weniger um Felix, sondern um sie selbst, um die Netzfrauen, die sich gemobbt fühlen. Das liegt nahe, wenn Fragen und Kritik als Beleidigung empfunden werden. “Auch wir Netzfrauen kennen das Gefühl, denn seit nunmehr fast zwei Jahren werden die Netzfrauen Opfer von Rufmord und persönlichen Angriffen, hauptsächlich betrifft es unsere Gründerin Doro.” Genau genommen geht es bei den Netzfrauen anscheinend nur um eine einzige Person, wie dieser Post vermuten lässt.
Die Netzfrau(en) werden gebraucht, jedenfalls fühlen sie das. Das Gefühl haben auch Feuerwehrleute, die Häuser anzünden, um sie danach löschen zu können. Mit Hilfsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit hat das wenig zu tun. Die Bildzeitung stieß als Sensationsblatt vor rund 40 Jahren auf die Ablehnung intelligenter Leser, die ihre Verachtung so formulierten: “Schlagzeile in Bild: Mann zu Hackfleisch verarbeitet – Bild sprach zuerst mit der Frikadelle.” Kleine Nachrichten werden aufgebauscht oder erfunden, die Zahl der Käufe, heutzutage der Klicks, steigt, die Werbeeinnahmen ebenfalls. Die Gewinnabsichten werden von Kritikern auch den Netzfrauen vorgeworfen. Die Bildzeitung hat an Bedeutung verloren, aber die Methoden wurden erfolgreich kopiert und finden sich in allen alarmistischen Aufrufen wieder, beim Klimawandel, dem angeblichen Eisbärentod, bei der Atomtodgefahr und eben auch beim Vorwurf des Mobbings, der jedem Betroffenen ermöglicht, jeden Widerspruch als tödliche Beleidigung zu empfinden und um seelischen oder rechtlichen Beistand zu bitten.
“Wir haben oft mit sogenannten Experten und auch mit der Polizei über das Thema Mobbing darüber diskutiert, was wir machen sollen”, sagen die Netzfrauen. Genau das ist vielleicht ihr Problem, sie sollten sich nicht an “sogenannte” Experten wenden, sondern an echte Experten oder Fachleute, die ihnen auch sagen, wie man richtig zitiert und recherchiert. Oder ihre Seite löschen.
Nathalie Wiese
Titelbild: Bru-nO, pixabay