Das religiöse Oberhaupt der Armenier in der Türkei, Erzbischof Aram Ateşyan, kritisiert die Völkermord-Resolution des Bundestags. Er halte es für inakzeptabel, berichtet das Handelsblatt, dass deutsche Volksvertreter zu einem Thema Meinungen äußern oder Gesetze verabschieden, die nichts mit dem deutschen Volk zu tun haben. In der Türkei werden die Tötungen hunderttausender Menschen anerkannt, als „tragische Ereignisse von 1915“, aber nicht als Völkermord bezeichnet. Der Erzbischof verwahrt sich dagegen, dass “jener Schmerz, der ein Trauma im armenischen Volk ausgelöst hat, nun in der politischen Arena missbraucht wird.“ Unter Armeniern löste der Erzbischof Proteste aus.
Was aber motivierte den Bundestag, eine Resolution zu verfassen, in der die „ethnischen Säuberungen“ als Völkermord eingestuft wurden? In dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur “Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916” heißt es: “Die eigene historische Erfahrung Deutschlands zeigt, wie schwierig es für eine Gesellschaft ist, die dunklen Kapitel der eigenen Vergangenheit aufzuarbeiten.”
Das Deutsche Reich war 1915 indirekt an den Massenvertreibungen und Ermordungen von Armeniern beteiligt. Deutsche Militärbeobachter, die im Osmanischen Reich stationiert waren, verzichtete damals auf eine Einflussnahme. Reichskanzler von Bethmann-Hollweg war bestrebt, „die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber die Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“ Deutschland machte sich damit mitschuldig am Völkermord. Zu dieser Mitschuld des Deutschen Reiches an den Ereignissen bekennt sich der Bundestag.
Dass der Bundestag aus der Mitschuld eine besondere historische Verantwortung Deutschlands und eine Aufgabe ableitet, “Türken und Armenier dabei zu unterstützen, über die Gräben der Vergangenheit hinweg nach Wegen der Versöhnung und Verständigung zu suchen”, empfinden offenbar nicht nur Türken als Einmischung und Anmaßung.
Die Bundestagsabgeordneten haben durch die Resolution vielleicht ihr historisches Gewissen erleichtert, aber dem Frieden zwischen Türken und Armeniern, Armeniern und Armeniern, Deutschen und Türken nicht gedient. Angela Merkel hatte sich in der Flüchtlingsfrage auf einen Deal mit der Türkei eingelassen, den sie nach Ansicht der Bevölkerungsmehrheit besser unterlassen hätte. Sie hatte sich außerdem mit Erdogan gegen den Kabarettisten Jan Böhmermann solidarisch gezeigt, dies im Nachhinein aber selbst als Fehler bezeichnet. Auch im Ausland stieß die Bundeskanzlerin auf Unverständnis und Kritik. Durch die Anerkennung des Völkermords konnte die Distanz Deutschlands zu Erdogan wieder hergestellt und der zu erwartende Protest der Türkei in letzter Minute zur “Ehrenrettung” der Bundeskanzlerin genutzt werden.
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