Konzeptionen

Radikal unterschiedliche geostrategische und weltpolitische Konzeptionen

Hans-Christof Kraus schrieb 2012 in der FAZ: “Den Amerikanern und der westlichen Seite geht es nicht oder nicht vorrangig darum, der bedauernswerten syrischen Bevölkerung zu helfen, sondern um Einflussnahme auf die Neugestaltung des Landes nach einem voraussichtlichen Sturz des derzeitigen Regimes, obwohl man mit diesem bisher stets gut zusammenarbeiten konnte.” Beim Kampf um Syrien werden zwei radikal unterschiedliche geostrategische und weltpolitische Konzeptionen deutlich.

Wenn es gegen die eigenen Interessen gerichtet war, hätten die USA außerhalb der eigenen amerikanischen Hemisphäre ein Interventionsverbot weder anerkannt noch respektiert, sagt Kraus. “Sie haben auch nach 1945 immer wieder gerade dort interveniert, wo es ihnen erforderlich schien, die eigene Machtstellung konsequent zu stärken. Nicht zuletzt der Ölreichtum und die auch strategisch entscheidend wichtige Lage der Region zwischen dem östlichen Mittelmeer und dem Arabischen Meer haben gerade dieses Gebiet zu einem Hauptaktionsfeld amerikanischer Außenpolitik werden lassen, bis hin zum letzten Irak-Krieg, zur Besetzung Afghanistans und zu den undurchsichtigen, völkerrechtlich jedenfalls in keiner Weise legitimierbaren Aktionen im nordöstlichen Pakistan.”

 

Zwei radikal unterschiedliche geostrategische und weltpolitische Konzeptionen

Den USA und seinen Verbündeten gehe es nicht vorrangig darum, der syrischen Bevölkerung zu helfen, sagt Kraus. Im Gegenteil. “Der aktuelle Konflikt um ein Eingreifen oder Nicht-Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg ist deshalb so brisant, weil sich in dieser Frage der Gegensatz zwischen zwei radikal unterschiedlichen geostrategischen und weltpolitischen Konzeptionen manifestiert.”

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron in einem Fernseh-Interview am 12. April 2018 kurz vor dem Angriff der Westmächte auf Syrien. Frankreich gehe es darum, „das Syrien von morgen vorzubereiten”, um einen “politischen Übergang zu einer freien Regierung”.

Macron sagte weiter, er spreche jeden Tag mit US-Präsident Donald Trump. Die USA, in Absprache mit den ehemaligen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich, setzen sich über internationales Recht hinweg. Sie ignorieren, dass Syrien ein souveräner Staat und Baschar al-Assad der von der Bevölkerung gewählte Präsident und keine Kolonie Frankreichs, Großbritanniens oder der USA ist.

 

Die geostrategischen Global Player halten die Würfel in der Hand

Vor mittlerweile sechs Jahren schrieb Hans-Christof Kraus, dass man “am Ausmaß, am Verlauf und an den, wie abzusehen ist, schon bald eintretenden Folgen des Syrien-Konflikts wie in einem Brennspiegel die gegenwärtige Verteilung weltpolitischer Machtpotentiale ablesen” könne.

Die Würfel seien noch nicht gefallen, “aber die geostrategischen Global Player halten sie bereits in der Hand, sagte Kraus 2012.

Am 13. 04.2018 starteten die USA, Frankreich und das Vereinigte Königreich einen massiven Angriff auf drei Einrichtungen in Syrien, zwei Angriffe westlich von Homs und einen Angriff im Raum Damaskus, die nach Angaben der US-Stabschefs mit einem angeblichen syrischen Geheimwaffenprogramm verbunden sind.

 

Russischer Resolutionsentwurf zu Syrien abgelehnt

Russland berief eine Sondersitzung des Sicherheitsrates der UN ein. Am 14.04.2018 lehnte der UN-Sicherheitsrat zum fünften Mal in Folge einen russischen Resolutionsentwurf zu Syrien ab. Der russische Entwurf forderte die USA und ihre Verbündeten auf, “unverzüglich und ohne Verzögerung die Aggression gegen die Arabische Republik Syrien einzustellen” und weitere aggressive Handlungen zu unterlassen, die gegen das Völkerrecht und die UN-Charta verstoßen. Darüber hinaus wies das Papier auch darauf hin, dass die Aggression “in dem Moment stattfand, in dem das Team der Organisation für das Verbot chemischer Waffen seine Arbeit aufgenommen hat, um Beweise für den angeblichen Einsatz chemischer Waffen in Douma zu sammeln”. Es forderte auch, dass alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Experten der OPCW ihre Arbeit ordnungsgemäß ausführen können.

Der russische Entwurf wurde von Russland selbst, Bolivien und China unterstützt. Acht Länder, darunter die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich, die Raketenangriffe gegen Syrien durchgeführt haben, stimmten mit Nein, vier weitere Länder enthielten sich der Stimme.

Belastbare Beweise wurden bis zu diesem Zeitpunkt nicht publik. Die unterschiedlichen  geostrategischen und weltpolitischen Konzeptionen kristallisieren sich immer deutlicher heraus.

“Und ihr denkt, es geht um einen Diktator”

 

“Zehn Minuten Nachhilfe aus gegebenem Anlass können nicht schaden”

Auch nach sechs Jahren kann man wie Hans-Christof Kraus 2012 “nur staunen über das Ausmaß an fast schon sträflicher Naivität oder auch nur schlichter Ignoranz, das viele Beurteiler der Syrien-Krise an den Tag legen, vor allem, wenn es darum geht, die Hintergründe für das zähe Tauziehen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zwischen Amerika und den westlichen Mächten einerseits, Russland und China andererseits aufzuhellen.” Die Reaktionen auf den Syrien-Konflikt offenbarten damals schon “die geopolitische Ahnungslosigkeit mancher deutscher Kommentatoren.”

Folge man Darstellungen des Konflikts in der westlichen Welt, handelt es sich meist um die Frage, ob es gelingt, die syrische Bevölkerung von einem blutigen Diktator zu befreien. Das trifft auch auf die Darstellungen im Jahr 2018 zu. Der Appell von Hans-Christof Kraus bleibt gültig: “Zehn Minuten Nachhilfe aus gegebenem Anlass können nicht schaden.”

 

Quellen:

Titelfoto: kalhh

Hans-Christof Kraus lehrt der Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau.

 

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