Der Fall Skripal ist auch ein Fall Merkel

Der Fall Skripal – keine Beweise für die Verantwortung Russlands

Die Bundesregierung hat bisher keine Beweise für die Verantwortung Russlands für den Anschlag gegen Sergei und Julia Skripal, wie ARD-Geheimdienstexperte Michael Götschenberg laut rbb Fernsehen berichtet.

Die Bundesregierung habe am Mittwoch im parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages darüber informiert, dass sie bis heute keinerlei Beweise von der britischen Regierung bekommen hat, dass Russland für den Giftanschlag verantwortlich ist. “Man hat ledliglich die Erkenntnis, dass es sich bei dem eingesetzten Gift um das Nervengift Nowitschok handelt, das seinerzeit mal in der Sowjetunion hergestellt worden war”, so Götschenberg.

Auch eigene Erkenntnisse, dass Russland verantwortlich sein könnte, haben die deutschen Nachrichtendienste bis heute nicht gewinnen können. “Der BND hat als Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik natürlich auch seine Quellen befragt und versucht, das irgendwie verifizieren zu können”, erklärte der ARD-Geheimdienstexperte laut rbb. Aber das sei nicht gelungen.

 

Wozu diente der Fall Skripal?

Die Skripals haben den Giftanschlag überlebt, werden aber von der britischen Regierung, die Russland für den Anschlag verantwortlich macht, vor der Öffentlichkeit und der eigenen Familie abgeschottet. Allein aufgrund der Beschuldigung haben zahlreiche Länder russische Diplomaten ausgewiesen, darunter auch Deutschland. Dafür gab es nach Ansicht von Götschenberg aber gar keine Grundlage. “Es erstaunt schon sehr, dass nicht weniger als 26 Staaten plus Nato zahlreiche russische Diplomaten ausgewiesen haben”, sagt er. “Das war ja ein Vorfall, den es in dieser Größenordnung noch nie gegeben hatte – und der die diplomatische Beziehung zu Russland wirklich auf dramatische Weise belastet hat.”

Ein Hinweis, wozu der Fall Skripal diente, findet sich zuletzt in der Rede der Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Bundestag am 07. Juni 2018. Sie sagte:

“Ich habe letztes Jahr nach dem NATO-Gipfel – ungefähr jetzt vor einem Jahr – sinngemäß gesagt: Ein Stück weit werden wir uns als Europäer mehr um uns selbst kümmern müssen. In diesem Geist sind dann ja auch verschiedene Aktionen erfolgt. Ich glaube, dass wir als Europäer lernen müssen, insbesondere in der Außenpolitik und in der Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik konsistent aufzutreten, um einfach unsere Interessen geschlossen durchzusetzen. Ich muss sagen: Sowohl das Handeln im Fall Skripal im Hinblick auf die Vorkommnisse in Großbritannien als auch die Art, wie wir mit der Kündigung des JCPOA durch die Vereinigten Staaten von Amerika umgehen, hat gezeigt, dass Europa hier ein hohes Maß an Einigkeit aufgebracht hat.”

Dass für die Einigkeit einiger europäischer Staaten der Ruf Russlands geopfert und die Gefahr eines kalten Krieges heraufbeschworen wurde, entstammt der kriegerischen Logik von europäischen Politikern, die sich ihre Politik von der Nato diktieren lassen.

 

Die Nato übt die Einigkeit auf dem Schlachtfeld

Schnellere Truppen- und Materialtransporte auf dem europäischen Kontinent sind das Hauptanliegen der Nato. Am NATO-Manöver “Saber Strike” (Säbelhieb), das derzeit stattfindet, soll die Abwehr einer “russischen Bedrohung” für das Baltikum trainiert werden. Am Manöver nehmen 18.000 Soldaten aus 19 Mitgliedsstaaten teil. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge sollen hierzu 90 Verbände von Heer, Luftwaffe und Marine so trainiert und ausgerüstet werden, dass sie im Fall einer Krisensituation innerhalb von “30 Tagen oder weniger” in den Einsatz geschickt werden können. In Ulm, im schwarz-grün regierten Baden-Württemberg, wird zurzeit ein neues Unterstützung- und Nachschubkommando aufgebaut. Selbst US-amerikanische Journalisten bewerten diese Entwicklung als Kriegsvorbereitung gegen Russland.

 

Kriegsziel Russland

Die Ambitionen des US-Militärs auf einen Krieg im Osten Deutschlands lassen sich weit zurück verfolgen. Nach 1945 war die Sowjetunion das Kriegsziel, nach ihrer Auflösung ist es Russland. Nachzulesen ist die Zielsetzung in zahlreichen, inzwischen längst veröffentlichten Dokumenten. Es zeigt sich, dass in den militärischen Überlegungen der Nachkriegszeit nicht einmal eine Rolle spielte, ob über das russische Territorium ein “Sowjetregime” oder eine den USA freundlich gesonnene Regierung herrschte. So wird beispielsweise in einem Memorandum des Nationalen Sicherheitsrates (NSC 20/1) auf die Notwendigkeit von “Sicherheitsvorkehrungen” hingewiesen, “die automatisch gewährleisten, dass selbst ein nichtkommunistisches und nominell uns freundlich gesinntes Regime a) keine starke militärische Macht besitzt, b) wirtschaftlich in hohem Maße von der Außenwelt abhängig ist, […].”  In NSC 20/2 heißt es, der “Bedarf an starken US-Truppen als Mittel der Ermutigung für die Völker Westeuropas […] entfällt wahrscheinlich nicht einmal dann, wenn das gegenwärtige Sowjetregime ein Ende gefunden hat.” (Die Dokumente des NSC wurden von B. Greiner und K. Steinhaus übersetzt, in: Greiner/Steinhaus, Auf dem Weg zum 3. Weltkrieg?, Pahl-Rugenstein, 1981)

 

Vorkriegsära

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Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Auch wenn man die Geschichte der USA und ihres Hegemoniestrebens nicht kennt, sollte man bei Unterstellungen, für die es keine Beweise gibt, nicht dem Beschuldiger zur Seite springen. Es kann keine Solidariät auf der Grundlage falscher Beschuldigungen geben, die das Leben von Millionen Menschen gefährdet, es sei denn, dass die Einigkeit bei der Zerschlagung eines “Rivalen” mehr zählt, als die  Kriegsopfer. Die Pflicht zur Zurückhaltung gilt für den Giftanschlag auf die Familie Skripal ebenso wie für den (angeblichen) Giftangriff in Syrien oder für die Behauptung, die Krim sei von Russland annektiert worden oder der russische Staat habe das Doping seiner Sportler angeordnet.

Ein neuer “Vorfall”, der jederzeit inszeniert werden kann, um ihn Russland zuzuschreiben, selbst ein unbedeutender Anlass könnte in einer hysterischen, anti-russischen Stimmung genügen, um einen Krieg gegen Russland zu beginnen. Und den kann letztlich kein vernünftiger Mensch in Europa wollen, der im Unterschied zu den US-Amerikanern zu den ersten Opfern eines Krieges gehören würde.

 

Sinneswandel: Vom “Partner” zum “Rivalen”

Der Präsident Russlands, Wladimir Putin, antwortete auf eine SMS-Frage während einer TV-Fragestunde mit Bürgern am 7. Juni 2018 mit einem Zitat von Albert Einstein: „Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“

Der einseitige Ausstieg der USA aus dem Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (ABM-Vertrag) 2015 war ein Schritt zurück in den kalten Krieg. Ein Jahr später, 2016, wurde im Weißbuch die Bezeichnung “Partner” für Russland durch “Rivale” ersetzt, wobei sich diejenigen durchsetzen konnten, die die vorgeschlagene Bezeichnung “Feind” abschwächen wollten. Der Ausstieg veränderte das globale Sicherheitssystem, das die führenden Mächte aus Angst vor der gegenseitigen Ausrottung von unbedachten Schritten abhielt. Diese Hemmschwelle wurde von den USA überwunden, die ihre Hegomonieposition an China, zu dessen Bündnispartnern Russland zählt, zu verlieren drohen. Die neue Rüstungsspirale, angefacht durch die USA, die ihre Hegemoniestellung gefährdet sieht, unterstützt durch den Einigkeitstaumel der EU, die auseinanderzufallen droht, lässt vor diesem Hintergrund und angesichts der neuen Entwicklungen nichts Gutes ahnen.

Reuters berichtete vor wenigen Tagen über Diskussionen im Pentagon, das Raketenabwehrsystem Terminal High Altitude Area Defense (THAAD), das mehr kann, als Raketen abzuwehren, in Deutschland zu installieren.

 

Titelfoto: geralt

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