Süd-Korea steht vor einem beeindruckenden Come-Back der Kernenergie. Eine Bürgerjury entschied, dass der Bau der beiden Kernreaktoren, Shingori-5 und Shingori-6, zu Ende geführt wird. Der Bau soll in wenigen Tagen wieder aufgenommen werden. Noch vor wenigen Wochen, als Präsident Moon Jae-in im Juni 2017 den Ausstieg aus der Kernenergie verkündete, schien es, dass nur noch eine Minderheit der Südkoreaner pro-nuklear dachte. Die Befürworter der Kernenergie feiern die vom Präsidenten anerkannte Abstimmung der Bürgerjury als einen Beweis dafür, dass demokratische Bürgeraktionen zu atemberaubenden pro-nuklearen Siegen führen können, wo sie am wenigsten erwartet werden, kommentiert Environmental Progress (EP) die Entscheidung. EP ist eine wissenschaftliche und politische Organisation, die von der Abstimmung in Südkorea einen weltweiten Auftrieb für die atomare humanistische Bewegung (“atomic humanist movement”) erwartet. EP kämpft darum, Kernkraftwerke auf der ganzen Welt zu retten, “von Taiwan und Japan nach Frankreich und Deutschland nach Ohio und Pennsylvania”.
Der Ausstieg Süd-Koreas aus der Kernenergie
Südkorea produziert 70 Prozent seines Stroms mit Kernreaktoren (27 Prozent) und Kohle (42 Prozent). Flüssiges Erdgas macht etwa 20 Prozent aus. Präsident Moon Jae-in verkündete am 19. Juni 2017 einen energetischen Paradigmenwechsel von Atomkraft und Kohle und versprach, alle bestehenden Pläne für neue Kernreaktoren zu beenden und veraltete Anlagen auslaufen zu lassen. Einige Tage zuvor hatte Moon erklärt, dass die Regierung den Anteil Erneuerbarer Energien bis 2030 von heute rund 5 Prozent auf 20 Prozent steigern werde. Als Grund seiner Energiepolitik nannte er die Kernschmelze in Japans Fukushima im Jahr 2011 und die jüngsten Erdbeben auf der koreanischen Halbinsel. Er warnte vor “irreversiblen Schäden, die durch nukleare Unfälle verursacht werden”. Diese Nachricht war im Sinne der grünen Bewegung in Deutschland und wurde über die deutschen Medien verbreitet. Im Unterschied zu grün-fundamentalistischen Positionen anerkennt Greenpeace Korea jedoch die Bedeutung der Kernenergie für das rasante Wirtschaftswunder des Landes.
Moon verband die Beendigung der Nutzung der Kernenergie mit seinem Ziel, Süd-Korea in einen atomwaffenfreien Staat umzuwandeln, berichtete The Korea Herald. Kernkraftwerke und Atomwaffen haben miteinander zwar nichts zu tun (was auch an der neuesten Wortschöpfung aus den Reihen des total ergrünten BUND nichts ändert: “Atomkraftwaffen”) nichts ändert, aber die öffentliche Meinung war nach einer Reihe von Beben in der Nähe von Südkoreas größtem Kernkraftwerk in der Nähe von Busan geteilt. Im Rahmen einer Kampagne, alte Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke durch saubere und erneuerbare Energiequellen zu ersetzen, suspendierte Präsident Moon Jae-in den Bau der beiden Reaktoren Shingori-5 und Shingori-6, die 2022 in der Nähe der südöstlichen Hafenstadt von Busan fertiggestellt sein sollten.
Sorgen um Süd-Koreas Energiepolitik
Die Sorgen über einen potenziellen Energiemangel und die Zukunft der südkoreanischen Atomindustrie verstärkten sich im Verlauf der Diskussion über Moons Entscheidung. Arbeiter der Atomindustrie befürchteten massive Entlassungen und den Zusammenbruch der Kernenergiebranche, die seit Jahrzehnten Technologien von Weltrang angesammelt habe. Auch auf den Export hätte ein Ausstieg aus der Kernenergie negative Folgen gehabt. Diese Gefahr führte zu dem widersprüchlichen Vorschlag des Energieminister von Moon, einen zweigleisigen Ansatz in der Kernenergie zu fahren. Die Regierung solle den Export von selbst hergestellten Reaktoren aktiv unterstützen und gleichzeitig die schrittweise Stilllegung von Kernkraftwerken zu Hause vorantreiben.
Eine Bürgerjury entscheidet über den Weiterbau der Kernkraftwerke
Eine bürgerliche Jury hat jetzt dem Weiterbau der beiden unfertigen Kernreaktoren Shin-Kori 5 & 6 zugestimmt. Die Jury veranstaltete in den letzten Monaten eine Reihe öffentlicher Anhörungen und Diskussionen.
Die vierte und letzte Befragung der Bürgerjury ergab, dass von 471 ausgewählten Personen, die drei Tage lang in einem “Camp für zermürbende Debatten” (“camp for grueling debate”) untergebracht waren, 59,5 Prozent den Bau der Reaktoren unterstützten, während 40,5 Prozent dagegen waren. Verschiedene Quellen berichten, dass die Unterstützung für die pro-nukleare Position von Mal zu Mal gewachsen sei. Bemerkenswert sei auch, dass vor allem Bürgerjuroren im Alter von 20 bis 30 Jahren den Weiterbau der Kernreaktoren stärker zustimmten als ältere Wähler. Dies sei deshalb hervorzuheben, da vor allem die jüngeren Menschen Präsident Moon im vergangenen Mai zum Wahlsieg verholfen hatten.
Präsident Moon hatte zuvor versprochen, die Empfehlung einer vom Staat unabhängigen Kommission zu respektieren. “Wir respektieren den Willen der öffentlichen Debatte Kommission, die ihre Empfehlung nach drei Monaten der Beratung gegeben hat”, sagte der Präsidentensprecher Park Soo-hyun und fügte hinzu, die Empfehlung basiere auf einer “fairen” Debatte.
Environmental Progress begrüßt die Entscheidung der Studenten, Professoren und Arbeiter, die protestiert und für einen Neubeginn des Baus gekämpft hatten. Ein Lob von EP gilt der Bürgerjury für die Wahl von Weisheit über Ideologie und dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in, der die Entscheidung akzeptiert hat.
Ein Sieg des Wissens über eine Ideologie
Michael Shellenberger, der Gründer und Präsident von Environmental Progress, berichtet über das Engagement von EP in Süd-Korea. In einem Sonderbericht “Die hohen Kosten der Angst” hatte EP die möglichen Auswirkungen der Schließung auf die Luftverschmutzung und Arbeitslosigkeit dargelegt. Shellenberger besuchte Südkorea zwischen April und der vergangenen Woche vier Mal. Er habe bei jedem Besuch Reden gehalten und Pressekonferenzen gegeben sowie an Treffen mit Arbeitern und Studenten teilgenommen, sagt er. Und er habe nachweisen können, dass Greenpeace und Friends of the Earth (FOE) in Fragen der Umwelt- und Sicherheitsbilanz der Kernenergie lügen.
EP konterte die Lügen mit zwei Untersuchungen und drei verschiedenen offenen Briefen an Präsident Moon und die Bürgerjury, die von Klimawissenschaftlern und Umweltschützern aus der ganzen Welt unterzeichnet wurden. Michael Shellenberger schließt seinen Bericht mit den Worten:
“EP freut sich darauf, mit unseren südkoreanischen Freunden und Verbündeten zusammenzuarbeiten, um dieser großartigen Nation dabei zu helfen, die Kernenergie von 30 Prozent auf 100 Prozent ihres Stroms zu erweitern – und Südkoreas starke Rekordstandards zu halten, die standardisierte, sichere und wirtschaftliche Reaktoren auf der ganzen Welt errichten.”
Die Offenheit der Energie-Debatte, der Sieg des Wissens über den ideologisch geführten Kampf gegen die Kernenergie und das Demokratieverständnis in Süd-Korea könnte etwas mit den Ergebnissen der PISA-Studie zu tun haben …
Quellen:
- https://environmentalprogress.org/big-news/2017/10/19/victory-pro-nuclear-win-in-south-korea-gives-momentum-to-atomic-humanists-everywhere
- https://environmentalprogress.org/big-news/2017/8/22/the-high-cost-of-fear
- https://www.taz.de/!5424050/
- https://www.heise.de/tp/news/Suedkorea-steigt-aus-der-Atomenergie-aus-3747175.html
- https://www.ajudaily.com/view/20171020104627244
- https://www.koreaherald.com/view.php?ud=20170619000212
Titelfoto: Chris_KIM, pixabay