Beobachtungen aus dem Revier

Der Faktenchecker-Trick mit dem Konjunktiv

Kolumne
Lars Demtröder

Auf der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Cottbus spricht Annalena Baerbock am 26.03.22 über ihren Besuch in Moldau und die Ukraine. Sie sagt: Wir haben gestern eben diese Luftbrücke gestartet, als Signal, dass weitere Flüge folgen und vor allem Flüge in ganz Europa und über den Atlantik, und wir müssen uns darauf einstellen, das werden nicht ein, zwei, zehn, hundert, das werden tausende Flüge sein. Es werden 8-10 Millionen Geflüchtete kommen und wir werden sie alle aufnehmen.”

Correctiv (“Recherche für die Gesellschaft”) geht es darum, den Verdacht der AfD zu widerlegen, Baerbock wolle 8-10 Millionen Asyltouristen ins deutsche Sozialsystem einwandern lassen.

Die Verfasserin des Correctiv-Beitrags ist die Journalistin Gabriele Scherndl. Sie widerspricht Behauptungen, Baerbock wolle acht bis zehn Millionen Geflüchtete in Deutschland aufnehmen. Das sei “falscher Kontext”. Scherndl zeigt einen kurzen Videoausschnitt, der beweisen soll, dass Baerbocks Rede aus dem Kontext gerissen ist. Correctiv: “Baerbock sprach von einer globalen Verteilung von Geflüchteten aus der Ukraine und bezog sich nicht nur auf Deutschland.”

ab Min 2:22:43

Die Verfasserin des Correctiv-Beitrags ist die Journalistin Gabriele Scherndl. Sie sagt, Baerbock wolle acht bis zehn Millionen Geflüchtete in Deutschland aufnehmen, sei “falscher Kontext”. Scherndl zeigt einen kurzen Videoausschnitt, der beweisen soll, dass Baerbocks Rede aus dem Kontext gerissen ist (Video, ab Min. 2:22:43). Baerbock habe von einer globalen Verteilung von Geflüchteten aus der Ukraine gesprochen und sich nicht nur auf Deutschland bezogen.

“Baerbock sprach in ihrer Rede nicht nur darüber, was Deutschland für Geflüchtete aus der Ukraine tun könne und solle, sondern auch darüber, was Europa und die USA tun könnten. In diesem Zusammenhang sprach sie von Fluchtbewegungen aus der Ukraine nach ganz Europa und „über den Atlantik“.”

Baerbocks Aussage: “Wir werden alle aufnehmen” ist jedoch nicht identisch mit der Aussage von Correctiv: “die USA könnten alle aufnehmen”. Die deutsche Sprache kennt den Unterschied zwischen den beiden Modi Indikativ und Konjunktiv. Der Indikativ wird verwendet, um tatsächliche Begebenheiten und Sachverhalte darzustellen, der Konjunktiv ist eine Möglichkeitsform. Die Unterscheidung ist keiner Sprachreform zum Opfer gefallen, jedenfalls bisher nicht. Übrigens: Der Trick der Gleichsetzung von Indikativ (Realität) und Konjunktiv (Wunschvorstellung) durchzieht die gesamte PR-Arbeit zu Gunsten der Umstellung auf sogenannte Erneuerbare Energien.

Die Target-Falle

Scherndl, Empfängerin des Nachwuchspreises „Grüne Reportage“, hinterfragt nicht, wen Baerbock als “wir” bezeichnet. Spricht Baerbock für ganz Europa und die USA? Müssen Europa und die USA der deutschen Außenministerin Folge leisten? Wird das grüne Deutschland sich an das Versprechen Baerbocks halten, wenn andere Länder sich nicht nicht daran gebunden fühlen? Oder erhielt die feministische deutsche Außenministerink von ihnen eine verbindliche Zusage, insgesamt bis zu 10 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen?

Echte Faktenchecker hätten diese Ungereimtheiten hinterfragt und sich nicht hinter dem “wir”, dem Pluralis Majestatis der deutschen Außenministerin, verkrochen. Und sie hätten sich auch nicht daran aufgehängt, ob die Rede beim Bundesparteitag Mitte Oktober in Bonn oder im März bei einer Landesdelegiertenkonferenz in Cottbus gehalten wurde. Aber was soll’s? Schließlich dient die negative Bewertung durch Correctiv dazu, unliebsame Beiträge bei Facebook herunterzustufen oder zu löschen.

Titelbild: Kranich17, pixabay


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