Die Deindustrialisierung Deutschlands nimmt ihren Lauf
ThyssenKrupp überprüft zurzeit sein Industriegeschäft und Möglichkeiten einer Restrukturierung. Dies könnte sowohl Stellenstreichungen als auch die Verlagerung von Standorten zur Folge haben.
Im Mittelpunkt der internen Prüfung bei ThyssenKrupp steht neben Indien, Thailand und Mexiko auch Russland. “Wir wollen in regionalen Märkten stärker präsent sein und dort ein lokales Geschäft aufbauen”, sagt Jens Michael Wegmann, der neue Vorstandschef der ThyssenKrupp Sparte Industrial Solutions.
Zu Industrial Solutions gehört neben dem Anlagenbau auch der Marineschiffbau. Weltweit sind dort rund 19.000 Mitarbeiter, davon etwa 11.000 in Deutschland, beschäftigt. Der Bereich Großanlagenbau mit Hauptsitz in Dortmund (Uhde) umfasste 2011 bundesweit noch 4.900, heute immerhin noch 2.300 Mitarbeiter. Weitere Stellenstreichungen in der Sparte Großanlagenbau sind geplant.
Sanktionen gegen Russland und der Maschinen- und Anlagenbau
Selten sei der Andrang europäischer Unternehmen und Politiker auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum so groß gewesen wie im Juni dieses Jahres, berichtet das Fachblatt für Chemietechnik. Der russische Industrieminister Denis Manturow und Wirtschaftsminister Aleksei Ulukajew hatten in den letzten Monaten mehrfach Deutschland besucht und für den Standort Russland geworben. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) warnt vor einer Verlängerung der Russland-Sanktionen. Je länger die Sanktionen aufrechterhalten würden, desto größer sei die Gefahr eines dauerhaften Auseinanderdriftens Russlands und Europas.
Im Geschäftsjahr 2014/2015 hat ThyssenKrupp im Anlagenbau rund 22 Prozent der Erlöse in Europa und den GUS-Staaten (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten – eine regionale internationale Organisation, in der sich verschiedene Nachfolgestaaten der Sowjetunion zusammengeschlossen haben) erwirtschaftet. Durch die mögliche Abwanderung zum Kunden verlöre Deutschland im Großanlagenbau als Markt an Bedeutung, wie die vergangene Branchenbilanz des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) zeige. Danach sind die Zahl der bestellten Großanlagen auf den niedrigsten Stand seit mehr als 30 Jahren gefallen.
Der Maschinen- und Anlagenbau gehört zu den Kernkompetenzen der deutschen Wirtschaft. Eine Abwanderung von ThyssenKrupp aus Deutschland würde für das Land einen Verlust von Kernkompetenzen bedeuten. Von der Abwanderung wäre insbesondere das Ruhrgebiet betroffen, denn der Schwerpunkt von Uhde liegt in Dortmund.
Der Prozess der Deindustrialisierung ist eine Folge der Energiewende
Die Energiewende hat eine nachhaltige Bedeutung für den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands. “Der Markt für den Neubau fossiler Kraftwerke etwa ist zusammengebrochen”, heißt es dazu beim VDMA. Nicht viel anders sehe es in der Prozess- und Grundstoffindustrie aus, dort würden derzeit aufgrund von Überkapazitäten, hohen Energiepreisen und strengen Regulierungsvorschriften kaum noch Großprojekte realisiert.
Den Prozess der Deindustrialisierung kann und will das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz nicht aufhalten, aber offenbar beschleunigen. Am 2. Juli 2016 teilte es mit, dass die Landesregierung die erste Nachhaltigkeitsstrategie für NRW beschlossen habe. In der Pressemitteilung wird der Industriestandort NRW nur in einem Nebensatz erwähnt, allerdings mit dem Etikett “nachhaltig”. Die Landesregierung setze sich “für gute Arbeit, für ambitionierte Umweltstandards und für einen nachhaltigen Industriestandort ein”, sagte “Klimaminister” Johannes Remmel.
Das Ruhrgebiet wird es nach grünem Willen als Industriestandort nicht mehr geben, an seine Stelle soll die Umweltwirtschaft treten, ein sich selbst verwaltendes grünes System. Die Folge wird sein, dass zukünftig im Ausland produziert werden wird, und verwalten können sich die meisten Länder auch sehr gut selbst. Bis 2025 soll die Zahl der Erwerbstätigen in der Umweltwirtschaft in NRW auf mindestens 420.000 steigen, sodass ein parasitärer, weil von staatlichen Mitteln abhängiger, grüner Arbeitsmarkt zu entstehen droht.
Wieviele produktive Arbeitsplätze durch die Energiewende vernichtet wurden und werden, wird in keiner grünen Statistik auftauchen.
Dass die Energiewende ein wesentlicher Grund für die Abwanderung der Industrie ist, wird von den Unternehmensführern selten laut geäußert. Für Unternehmen, die sehr viel Strom benötigen, wie zum Beispiel Wacker Chemie, sind die Stromkosten trotz einer erheblichen Reduzierung der EEG-Umlage noch zu hoch, um mit hochwertigen Produkten gegenüber der Billigkonkurrenz bestehen zu können. Darauf wies Peter-Alexander Wacker, Aufsichtsratsvorsitzender Wacker AG, Ende 2013 in einem Interview hin.
Interview mit Peter-Alexander Wacker, Aufsichtsratsvorsitzender Wacker AG
Wacker Chemie hat im April 2016 nach mehrjähriger Vorplanung und einer Investition in Höhe von 2,2 Milliarden Euro eine Fabrik in Charleston/US-Bundesstaat Tennessee für die Herstellung von Polysilizium für die Solar- und Halbleiterindustrie offiziell eröffnet. Ein Ausbau der Anlagen ist geplant. Die Straße in Charleston, an der das neue Werk der Wacker Chemie liegt, wurde zu Ehren des Münchner Chemikonzerns, dem größten Arbeitgeber am Ort, in Wacker Boulevard umbenannt. “Vorbild für Charleston ist Burghausen, wo Wacker über die vergangenen Jahrzehnte einen Standort aufgebaut hat, der einer Stadt gleicht… Und bereits Ende des Jahres werden am Wacker Boulevard genauso viele Menschen arbeiten wie in Charleston leben.” In Burghausen arbeiten fast 10.000 Mitarbeiter.
Die Produktion wandert Dank der Energiewende aus Deutschland ab, mit ihr leider auch die deutsche Ingenieurskunst. Die Zukunft und soziale Sicherheit Hunderttausender Menschen in Deutschland liegt dort, wo vor der Industrialisierung alles begann – wenn die Bevölkerung nicht dafür sorgt, dass der grüne Albtraum verschwindet.
Titelfoto: MichaelGaida, pixabay