Renaissance der Kernenergie: Details zum modernen Kernreaktor-Programm

China wird in Partnerschaft mit dem US-Energieministerium bis zum Jahr 2030 moderne Kernreaktoren in den Handel bringen. Richard Martin berichtet über eine Zusammenkunft von Atomwissenschaftlern und Unternehmern im Oak Ridge National Laboratory in Tennessee. Auf der Suche nach preisgünstiger, kohlenstoffarmer Energie erlebe die Welt zurzeit eine Renaissance der Flüssigsalz-Reaktoren, sagt Richard Martin, Chefredakteur für Energie, MIT Technology Review.

Nuklearreaktoren – Die nächste Generation

Für den allmählichen Ausstieg aus der Kohle lassen sich Gründe finden, für den aus der Kernenergie nicht. Dies hat zuletzt ein Treffen von Atomwissenschaftlern und Unternehmern im Oak Ridge National Laboratory in Tennessee in der letzten Woche deutlich gemacht, von dem Richard Martin berichtet.

Die Zusammenkunft fand anlässlich des 50. Jahrestags des Experiments mit Flüssigsalzreaktoren statt. Das Programm wurde in den 1960er Jahren bei Oak Ridge durchgeführt, mit dem Ziel, einen neuartigen Kernreaktor zu bauen. Flüssigsalzreaktoren benutzen anstatt fester Brennstäbe Flüssigkeit als Brennstoff. Sie bewirkt Kernreaktionen, die das Wasser erhitzen, aus dessen Dampf schließlich Strom erzeugt wird. Flüssigsalzreaktoren haben in Bezug auf Sicherheit, Anti-Proliferation und Wirtschaftlichkeit gegenüber herkömmlichen Leichtwasserreaktoren mehrere Vorteile.

Der Jahrestag in Oak Ridge habe eine Übersicht über den Stand der zwar seit Jahrzehnten bekannten, bisher aber nicht kommerzialisierten Technologie geboten, sagt Martin. Reaktorentwickler einschließlich TerraPower, Flibe Energy, Moltex Energy, Terrestrial Energy und Southern Power hätten ihren jeweiligen Stand der Kommerzialisierung präsentiert.

China bestimmt das Tempo

Unter den Referenten befand sich laut Martin auch Xu Hongjie, der Direktor des Flüssigsalz-Reaktor-Programms am Shanghai Institut für Angewandte Physik (SINAP). China gewinnt immer noch fast drei Viertel des Stroms aus der Verbrennung von Kohle, ist der größte Emittent von Treibhausgasen in der Welt und steht unter Druck, kohlenstoffarme Energiequellen zu entwickeln, sagt Martin, weshalb China, den Angaben der World Nuclear Association folgend, seine Nuklearkapazität bis zum Jahr 2020 mehr als verdoppeln wolle. Dies betreffe sowohl konventionelle Kernkraftwerke wie fortgeschrittene Systeme, wie beispielsweise Flüssigsalzreaktoren.

Xu stellte detailliert einen mehrstufigen Plan für den Bau von Demonstrationsreaktoren in den nächsten fünf Jahren vor, die ab etwa 2030 in den Handel kommen sollen. Das Institut plane, einen 10-Megawatt-Reaktor-Prototyp mit Festbrennstoffen bis zum Jahr 2020 zu bauen, zusammen mit einem Zwei-Megawatt-Flüssigkeit-Reaktor, um den Thorium-Uran-Brennstoffkreislauf zu demonstrieren. (Thorium, das nicht spaltbar ist, wird in einem Reaktor in ein spaltbares Uran-Isotop verwandelt, das Energie erzeugt und die Kernreaktion aufrecht erhält.)

Insgesamt arbeiten 700 Kernkraft-Ingenieure an dem Flüssigsalz-Reaktor bei SINAP, eine Zahl, die andere Reaktorforschungsprogramme in diesem Bereich auf der ganzen Welt in den Schatten stelle, berichtet Martin. Bei der Forschung gehe es China auch um die Kontrolle über Tritium, ein gefährliches Wasserstoff-Isotop, das bei der Herstellung von Kernwaffen verwendet werden kann. Die Begrenzung der Erzeugung von Tritium sei ein zentrales Forschungsziel bei der Entwicklung von Flüssigsalz-Reaktoren, habe Xu Hongjie betont.

Während die meisten Teilnehmer in Oak Ridge mit den Umrissen des chinesischen Programms vertraut gewesen seien, seien dennoch viele Zuhörer über die Komplexität der bisher erzielten Fortschritte in China erschrocken gewesen. Es sei sehr überraschend, wie weit sie in vier Jahren gekommen sind, habe John Kutsch, Vizepräsident für Geschäftsentwicklungen bei Terrestrial Energy, die eine eigene Version eines Flüssigsalzreaktors entwickeln, gesagt. Es zeige, wie der Fortschritt beschleunigt werden könne, wenn sich hunderte von Forschern auf ein Projekt konzentrierten.

Unter der Schirmherrschaft der chinesischen Akademie der Wissenschaften, arbeite SINAP mit Oak Ridge zusammen, um die Forschung sowohl bei den salzgekühlten Reaktoren (die geschmolzene Salze verwenden, um die Wärme zu übertragen und um den Reaktor zu kühlen) und salzbetriebene Reaktoren (in dem der Kraftstoff in Kühlmittelsalz gelöst wird, wobei die energieerzeugenden Kernreaktionen auftreten) zu fördern. Die Vereinbarung sei im Dezember 2011 unterzeichnet worden. Seitdem seien die Bemühungen von Shanghai-Oak Ridge in der Kernkraft Gemeinschaft Gegenstand von Kontroversen und Spekulationen, insbesondere bei denjenigen, die die Förderung moderner Technologien, wie beispielsweise Salzschmelzenreaktoren und die Verwendung von Thorium als alternativen Kernbrennstoff befürworten, der sauberer und sicherer sei und häufiger vorkomme, als Uran.

Das chinesische Programm habe einige amerikanische Forscher, die China als Rivalen im Nuklearbereich sehen und die Weitergabe von Technologien, die ursprünglich in den USA entwickelt wurden, ablehnen, alarmiert, stellt Martin fest. China bemühe sich, nicht nur Reaktoren für die inländische Stromversorgung zu bauen, sondern auch ein bedeutender Lieferant von Kerntechnik für den Weltmarkt zu werden. Einige Kommentatoren hielten die US-China-Vereinbarung für eine gefährliche, auch heimtückische Form des Technologietransfers, meint Martin.

In Oak Ridge habe Xu einen Fahrplan umrissen, der zeige, dass China weiter ist als jedes andere Forschungs- und Entwicklungsprogramm (FuE) der Welt über fortschrittliche Reaktoren.

Das Dilemma der USA

Aus einer breiteren Perspektive gesehen würde die Entwicklung einer sicheren, wirtschaftlichen Kernkrafttechnologie, die vermarktet und schnell bereit gestellt werden könne, ein riesiger Erfolg im Kampf für die Begrenzung des globalen Klimawandels sein, unabhängig davon, welches Land zuerst komme, sagt Martin. Viele Entwickler der nächsten Generation von Kernreaktoren, die in den USA mit einem langen Weg zur Finanzierung und Lizenzierung ihrer Technologie konfrontiert sind, würden ihre Apparate wahrscheinlich in anderen Ländern testen, darunter auch in China.

Im Rahmen der Vereinbarung seien beide Institutionen nach Einschätzung David Holcombs, Forschungsleiter des Programms am Oak Ridge, bestrebt, die salzgekühlten Reaktoren schneller voranzubringen. Die Kooperation sei von beiden Regierungen genehmigt.

Wie alle Wissenschaftler sei auch Xu mit der Sicherung der Finanzierung für die nächsten Phasen des Programms konfrontiert. Die SINAP Forschung zum Flüssigsalzreaktor werde bis 2017 finanziert, habe Xu eingeräumt; darüber hinaus werde das Institut von der Zentralregierung, der Shanghai Regierung und aus dem privaten Sektor neue Mittel erbitten. SINAP habe vor kurzem einen Vertrag mit der Fangda Group, einem großen chinesischen Konglomerat, das Kohlenstoffprodukte, Eisen, Stahl und Chemikalien produziert, geschlossen, der die Entwicklung salzgekühlter Reaktoren zu unterstützt.

Er sei sehr zuversichtlich, habe Xu versichert, dass SINAP sein Flüssigsalz-Reaktor-Programm vermarkten werde. Denn grundsätzlich habe die chinesische Regierung die Absicht, die Entwicklung von Zukunftstechnologien im Bereich der Kernenergie zu unterstützen. Und der chinesische Markt sei sehr groß für Kernenergie-Technologien.

Die Rückkehr des deutschen Spießers

Auf der Suche nach preisgünstiger, kohlenstoffarmer Energie erlebt die Welt zurzeit eine Renaissance der Flüssigsalz-Reaktoren. Wie schnell die Umstellung vonstatten gehen kann, zeigt China. Deutschland hat sich dagegen mit seinem Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie 2011 aus der Teilhabe an der Forschung und Entwicklung einer zukunftsfähigen Energieversorgung für die Menschheit verabschiedet.

Die Folgen des Ausstiegs werden sehr viel weitreichender sein, als wir uns derzeit träumen lassen. Die Konsequenzen betreffen sowohl die Zuverlässigkeit der Energieversorgung, die Deutschland aus eigener Kraft nicht mehr bewerkstelligen können wird, als auch die Abwanderung der Industrie, die Deutschland bereits nach und nach verlässt. Der politische Kurs strebt eindeutig Richtung Deindustrialisierung. Deutsche Spießbürger möchten sich von der Industrie verabschieden, weil sie glauben, damit der Welt etwas Gutes zu tun. Sie bewegen sich rückwärts, in eine Zeit vor Beginn der Industrialisierung, als städtische Bürger im Mittelalter ihre Heimatstadt mit dem Spieß als Waffe verteidigt haben, daher der Name Spießbürger, und die Kirche die Atomlehre Demokrits verdammt hat. Die Bevölkerung ist Spießbürgern auf den Leim gegangen und wird dafür bitter bezahlen.

In der Literatur erscheinen die Spießer als selbstzufriedene Menschen, die unter anderem einer oberflächlichen Geselligkeit frönen, sich gerne in Vereinen aufhalten, sich durch Verrat, Dünkel, Besserwisserei und Aufgeblasenheit oder als autoritätshörige Opportunisten auszeichnen.

Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet die Sorge um den menschengemachten Klimawandel ist weltweit der Anstoß dafür, die Kernenergie auszubauen und die damit verbundene technische und intellektuelle Herausforderung anzunehmen. Dass Deutschland von der Kernenergie im eigenen Land nichts mehr wissen will, der Stationierung von Atomwaffen aber ebenso zustimmt wie dem Import von Strom aus Kernkraftwerken des Auslands, ist typisch für die Bedeutung, die Spießbürger im modernen Sinne haben: Engstirnige Personen, “die sich durch geistige Unbeweglichkeit” und “ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen auszeichnen.”

Auf die weltweite Entwicklung wird die Verabschiedung Deutschlands aus dem Kreis kultivierter Industrienationen keinen Einfluss haben, die Lücke der einstmals bedeutenden Kulturnation wird von Russland und asiatischen Ländern, insbesondere von China, aber auch von den USA und anderen europäischen Staaten in den nächsten Jahrzehnten geschlossen werden.

Faina Faruz

Quellen:

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