Beobachtungen aus dem Revier

Neue Autos braucht das Land

Die COVID-19-Epidemie verändert das Verbraucherverhalten in der Automobilindustrie grundlegend. Dies geht aus einer Studie von Capgemini, einem der weltweit führenden Anbieter von Management- und IT-Beratung, Technologie-Services und Digitaler Transformation, hervor.

Eine Befragung ergab, dass jüngere Altersgruppen auf die Idee kommen, ein Fahrzeug zu besitzen. Außerdem würden Gesundheit und Hygiene für die individuelle Mobilität immer bedeutsamer. Die digitale Transformation des Kaufprozesses werde wichtiger denn je, um im Zeitalter von Lockdowns und sozialer Distanzierung Verbindungen zu Verbrauchern aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Unternehmen, die bereits an vorderster Front ein digitales Kundenerlebnis bieten, und innovative Geschäftsmodelle wie Abonnement und Pay-per-Use seien gut aufgestellt, um diesen Sturm zu überstehen, heißt es ferner. “Sie bieten den anderen Organisationen wertvolle Erkenntnisse darüber, wie die Verbraucherverschiebung genutzt werden kann, um die Verbrauchernachfrage trotz einer globalen Verlangsamung der Branche zu stützen.”

Globale Verlangsamung in der Automobilbranche

Die globale Automobilindustrie hatte bereits vor 2020 mit einer anhaltenden Verlangsamung zu kämpfen. Die Zahl der Fahrzeuge, die auf den wichtigsten globalen Märkten verkauft wurden, ging laut Capgemini beispielsweise 2019 auf 90 Millionen Einheiten zurück. Dies seien deutlich weniger als die Rekordzahl von 95 Millionen verkauften Fahrzeugen 2017.

Was Capgemini nicht erwähnt: Der Rückgang war nicht zuletzt das Ergebnis einer beispiellosen grünen Kampagne gegen das Automobil, das politische Organisationen und Medien als einen der größten Umweltverschmutzer gezielt in Verruf gebracht hatten. Ökologisten, die weltweit an Einfluss gewonnen hatten, bestanden auf einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, einer Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe und folglich auf einer Abkehr von Verbrennerfahrzeugen.

Erst vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum der COVID-19-Ausbruch zu einem schweren Schlag für die Branche werden konnte. Das Argument, ein Virus bedrohe die Menschheit, wurde zu einer wirksamen, schlagkräftigen Waffe für Politiker und die Finanzwirtschaft, die ihnen einen Neustart der maroden Wirtschaft, jetzt unter ökologischen Aspekten, bescherte. Die längste Friedensphase in der europäischen Geschichte wurde durch einen Krieg ohne Einsatz von Militär beendet. China reagierte auf den Ausbruch der Epidemie mit dem Lockdown der Region, in der das Virus zuerst auftrat. Sukzessive folgten andere Staaten und beschlossen ebenfalls Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Die Neuwagenverkäufe in China gingen laut Capgemini im ersten Quartal 2020 um 42% zurück. Große Autohersteller in den USA meldeten Absatzrückgänge zwischen 37% und 50%. Dies spiegele mit Blick auf die Branche die erhebliche Störung wider, sagen die Unternehmensberater. Die wirtschaftliche Unsicherheit, Angst vor Rezessionen und dem Verlust von Arbeitsplätzen hätten das Vertrauen der Verbraucher geschwächt und dazu geführt, dass Menschen größere Einkäufe vermeiden. Die nationalen und internationalen Sperren hätten die Produktions- und Lieferketten der Originalgerätehersteller (OEMs) der Branche gestört. Die Zulieferer seien ebenfalls denselben Belastungen ausgesetzt.

Das Ende des Händlernetzes

Eine wichtige Funktion hatten laut Capgemini in der Automobilbranche traditionell die Einzelhändler. Das Händlernetz sei in den vergangenen Jahren zunehmend ausgedünnt worden. Durch den Lockdown seien die noch verbliebenen Händler von potenziellen Käufern getrennt worden, wie Capgemini hervorhebt. Dieser Punkt spielt aus der Sicht des Beratungsunternehmens für die zukünftige Orientierung der Branche eine wichtige Rolle.

Capgemini

Das börsennotierte Beratungs- und IT-Dienstleistungsunternehmen Capgemini ist nach eigenen Angaben mit 200.000 Mitarbeitern weltweit in mehr als 40 Ländern vertreten. Der weltweite Umsatz für das Geschäftsjahr 2018 betrug 13,2 Milliarden Euro. Das Unternehmen definiert sich als ein “Wegbereiter für Innovation” und unterstützt seine Kunden “bei deren komplexen Herausforderungen rund um Cloud, Digital und Plattformen”.

Als mächtiger Berater von Unternehmen sammelt Capgemini nicht nur Daten, sondern orientiert sie in eine bestimmte Richtung. Dass dies nicht ohne Einfluss auf wissensmäßig unterlegene Politiker und Unternehmenschefs bleibt, ist nachzuvollziehen. So gehört zum Beispiel Jeremy Rifkin, „das grüne Gewissen des Planeten“ (taz) zu den “Top-Berater von Politikern und wichtigen Vorstandschefs“ (Handelsblatt).

Die Übereinstimmungen mit den Zielen der Politiker und Wirtschaft sind nicht zu überhören. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte am 23.01.2020 beim Weltwirtschaftsforum in Davos „Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaßan. „Die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns angewöhnt haben, werden wir in den nächsten 30 Jahren verlassen“, sagte Merkel mit Blick auf Klimaschutz und Digitalisierung.

Wichtigstes Ergebnis

Capgemini befragte 11.000 Verbraucher aus 11 Ländern – den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, China, den Niederlanden, Schweden, Norwegen, Italien, Spanien und Indien. Diese Länder machen 2019 zusammen 62% des weltweiten jährlichen Pkw-Absatzes aus.

Die Neuwagenverkäufe gehen weniger stark zurück als in den ersten 12 Tagen des April erwartet wurde. Laut Capgemini zeigt sich: “die COVID-19-Pandemie verändert das Verbraucherverhalten in der Automobilindustrie grundlegend. Gesundheit und Hygiene werden immer wichtiger, wenn die Verbraucher über öffentliche und gemeinsame Verkehrsträger auf individuelle Mobilität zusteuern.”

Überraschend ist vielleicht, dass nach einer Phase der Abkehr vom individuellen Personenverkehr die jüngeren Altersgruppen “endlich”, wie Capgemini sagt, auf die Idee kommen, ein Fahrzeug zu besitzen. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die digitale Transformation des Kaufprozesses wichtiger werde denn je, “um im Zeitalter von Lockdowns und sozialer Distanzierung Verbindungen zu Verbrauchern aufzubauen und aufrechtzuerhalten.”

Unternehmen, die bereits an vorderster Front ein digitales Kundenerlebnis bieten, und innovative Geschäftsmodelle wie Abonnements und Pay-per-Use seien gut aufgestellt, “um diesen Sturm zu überstehen”. Sie böten den anderen Organisationen wertvolle Erkenntnisse darüber, wie die Verbraucherverschiebung genutzt werden kann, um die Verbrauchernachfrage trotz einer globalen Verlangsamung der Branche zu stützen.

Tesla als Vorbild

Es wird niemanden überraschen, dass ein Gigant der Beratungsindustrie einen anderen Giganten, den zum Giganten gehypten Elon Musk und den Tesla, als Richtschnur für zukünftig erfolgreiches Unternehmenshandeln präsentiert. Ob damit aber nur ein Sturm zu überstehen oder ein nachhaltiges Zukunftsmodell aufgebaut werden kann, ist längst nicht entschieden.

  • “Tesla – der amerikanische Hersteller von Elektrofahrzeugen – bekämpft die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie mit digitalen Innovationen und verbraucherorientierten Gesundheitsinitiativen”, sagt Capgemini. Zu den von ihm implementierten Digital- und Produktinnovationen zählt das Beratungsunternehmen:
  • Den digitalen Vertrieb mit Einzelhandelsausstellungsräumen, die sich auf das Produkterlebnis konzentrieren. Tesla wechselte 2019 zu einer reinen Online-Verkaufsversion.
  • Verbraucher können auf Informationen zugreifen und Produkte mit Anpassungs- und Finanzierungsoptionen auf der Tesla-Website bestellen, ohne dass ein menschliches Eingreifen erforderlich ist.
  • Die Dokumentation zur Registrierung kann auf die Tesla-Website hochgeladen werden. Tesla übernimmt dann die Fahrzeugregistrierung im Namen des Verbrauchers und die Dokumente werden zum Download bereitgestellt.
  • Tesla bietet eine starke, digital aktivierte Unterstützung mithilfe von Chatbots, Telefonservice und E-Mail, um sicherzustellen, dass alle Anfragen ohne Händlerbesuche beantwortet werden.
  • Autos können auch per „kontaktloser Lieferung“ an die Haustür geliefert werden. Diese Funktion verwendet die Smartphone-App des Besitzers, ohne dass ein Schlüsselaustausch erforderlich ist.


Tesla sei bekannt für seinen Schwerpunkt bei Produktsicherheit, sagt Capgemini. Diese umfasse HEPA-Filter sowie die Verhinderung von Bakterien und Gerüchen. Teslas Autos seien außerdem bekannt für ihre hohen Sicherheitsbewertungen sowohl von europäischen (NCAP) als auch von amerikanischen (NHTSA) Agenturen. (Als Quellenangabe dient Capgemini die Tesla Website, “Vehicle Safety”).

Diese digitalen und gesundheitsbezogenen Initiativen hätten Tesla geholfen, ein Drittel des EV-Marktes in China zu erobern, nachdem die COVID-19-Sperrungen gelockert wurden.

Klimaschutz und Digitalisierung

Die IT-Unternehmen haben ihre neue Rolle schon in den 1990er Jahren gefunden. Die großen Energieunternehmen haben sich offenbar, wie von Rifkin gefordert, in eine neue Rolle eingefunden, “weg von der Produktion und hin zu Management und Networking”, und die nächste Branche, die Automobilindustrie, soll ihnen folgen.

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte am 23.01.2020 beim Weltwirtschaftsforum in Davos „Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaß“ an. „Die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns angewöhnt haben, werden wir in den nächsten 30 Jahren verlassen“, sagte Merkel mit Blick auf Klimaschutz und Digitalisierung.

Der Corona-Lockdown lässt erahnen, in welche Zukunft uns vernetzte IT-Milliardäre und Politiker führen wollen.

Faina Faruz

Capgemini-Studie:

https://www.capgemini.com/de-de/wp-content/uploads/sites/5/2020/04/COVID-19-Automotive-3.pdf

Titelfoto: geralt, pixabay

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