Die Landesregierung NRW wird eine Testpflicht für Schülerinnen und Schüler einführen. Dies teilte die Landesregierung am 1. April mit, an dem Tag, der für den Brauch bekannt ist, seine Mitmenschen durch erfundene oder verfälschte Geschichten in die Irre zu führen und so „zum Narren zu halten“. Nein, es ist kein Aprilscherz, den sich die Landesregierung ausgedacht hat.
Die konkrete Ausgestaltung der Testpflicht sowie die rechtlichen Grundlagen sollen rechtzeitig vor Schulbeginn bekanntgegeben werden. NRW-Ministerpräsident und CDU-Cef Armin Laschet hatte die Corona-Testpflicht für Schüler in Nordrhein-Westfalen bereits in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ angedroht, auch weil einige Eltern sich weigerten, ihre Kinder testen zu lassen, wie er sagte. (ab Min. 25:55) . Anders als im letzten Jahr gehe es nicht mehr darum, ob die Kinder gute Bildung bekämen, weil „man zu Hause nicht so gut lernen kann“. „Jetzt geht’s echt um Gesundheitsschutz“, sagte Laschet. (ab Min. 27:10)
Eine klare, ausführlich begründete Antwort auf die für Schüler geplante Testpflicht gibt der Deutschlehrer, Schriftsteller und Philosoph Gunnar Kaiser: “Ich mache da nicht mit. Ich weigere mich. Ich sage nein.”
(Gunnar Kaiser: “In min 0:22 muss es natürlich heißen: „Wer positiv getestet wird“. Der ganze Text des Videos ist hier nachzulesen)
“Ich mache da nicht mit. Ich weigere mich. Ich sage nein.”
Recht auf Bildung
In einigen Bundesländern wie z. B. Sachsen sowie in Österreich sei der Testzwang für Kinder schon Realität. Das würde dann auch bedeuten, sagt Gunnar Kaiser, dass Testverweigerer nicht am Unterricht teilnehmen können und auch keine weiteren Bildungsangebote bekommen. “Das Recht auf Bildung wird so von der Bereitschaft zum Test abhängig gemacht.”
Ein Testzwang für Kinder würde bedeuten, “dass Testverweigerer nicht am Unterricht teilnehmen können und auch keine weiteren Bildungsangebote bekommen. Das Recht auf Bildung wird so von der Bereitschaft zum Test abhängig gemacht.”
Ausgrenzung und Verletzung der Menschenwürde eines Kindes
In Nordrhein Westfalen testen Schülerinnen und Schüler sich jetzt regelmäßig selbst – zwei- bis dreimal in der Woche, morgens in der Klasse gemeinsam mit allen anderen, unter Anleitung und Aufsicht des Lehrers oder der Lehrerin. Gunnar Kaiser kritisiert. “Wer positiv getestet wird, wird unverzüglich isoliert und dann des Schulgeländes verwiesen. In einigen Bundesländern wie z. B. Sachsen sowie in Österreich ist der Testzwang für Kinder schon Realität.”
Diese Maßnahmen stehen in Kaisers Augen im Konflikt mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 1 (1), in dem es heißt: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt” und der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, Art. 6 (1): “Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft” sowie der Datenschutz-Grundverordnung, Art, 5 und 6: Art. 5 Abs. 1.
Die Privatsphäre der Kinder werde verletzt, denn es sei nicht gewährleistet, dass ihre Bereitschaft, sich selbst dem Test zu unterziehen, selbstbestimmterfolgt, sondern der Verdacht besteht, dass aufgrund von Gruppendruck und Angst vor Beschämung und Ausgrenzung die Entscheidung zur Teilnahme nicht in voller Mündigkeit und Freiwilligkeit getroffen wird. “Dadurch ergibt sich eine Situation, in der der/die Schüler/in – unabhängig vom tatsächlichen Ergebnis des Testes – möglicherweise einem erheblichen Maß an Stress, Beschämung und Angst ausgesetzt ist. Diese psychische Belastung wird noch dadurch erhöht, dass der/die Schüler/in sich bewusst sein muss, dass die Lehrperson von dem Ergebnis erfährt und es notwendigerweise zumindest indirekt öffentlich machen wird.”
Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Lehrers
Zudem sei es ihm als Lehrer nicht möglich, den Schüler oder die Schülerin den bei einem positiven Testergebnis entstandenen Stress pädagogisch verantwortungsvoll aufzufangen und ihm gemeinsam individuell und fürsorglich zu begegnen. “Stattdessen wird der/die Schüler/in (sichtbar für alle anderen) isoliert und möglicherweise in seiner/ihrer Angst allein gelassen. Es ist mir in einer solchen Situation nicht möglich, meiner Fürsorgepflicht nachzukommen.”
Gesundheitliche Risiken werden missachtet
Kaiser beklagt ferner, dass Gefahrermittlung und Gefahrprävention nicht abgewogen wurden. Er verweist auf die Packungsbeilage „Sars-CoV-2 Rapid Antigen Test“, wonach das Testkit „einen besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC): Octyl-/Nonylphenolethoxylate“ enthält. “Ich sehe mich nicht in der Lage, über die Wirkung dieses Stoffes medizinisch kompetent Auskunft zu geben, zumal nicht geklärt ist, wer die Haftung für mögliche Schädigungen durch den Stoff übernimmt.” Für eine Anleitung und Beaufsichtigung eines solchen medizinischen Eingriffs bin ich weder ausgebildet noch kompetent.” Die Frage nach der Haftung bei einer fehlerhaften Anwendung durch die Schülerinnen und Schüler und bei Unfällen sei nicht geklärt. Es sei zu befürchten, dass er, wenn er als Lehr- und Autoritätsperson einen medizinischen Vorgang anleite (ohne zudem medizinisch geschult zu sein) nicht nur falsche Autorität vorspiegele und anmaße, sondern auch zur Haftung zu ziehen ist, wenn aufgrund von fehlerhafter Anwendung oder Unfällen Schäden entstehen.
Es gibt keinen Grund für anlasslose Massentests
Darüber hinaus hält Kaiser die Durchführung von Selbsttests in der vorgesehenen Weise als anlasslose Massentests nicht für angezeigt. Ein solcher Eingriff sei lediglich dann veranlasst, wenn er medizinisch indiziert sei. “Eine solche Indikation liegt indes nicht vor.” Der anlasslose massenhafte Einsatz von Antigen-Schnelltests steht für Kaiser “im klaren Widerspruch sowohl zu den Empfehlungen des Herstellers als auch zu den Informationen, welche beim RKI verfügbar sind, zumal für die Notwendigkeit solcher Massentestungen keine belastbare wissenschaftliche Grundlage besteht und Schulen nach Aussage führender Wissenschaftler keine Treiber des Infektionsgeschehens sind.”
Bildungsauftrag wird missachtet
Zum Schluss bezieht sich Kaiser auf den von der Landesverfassung und vom Schulgesetz erteilten Bildungsauftrages. Dieser Passus könnte für alle Lehrer von Bedeutung sein, die an der Erfüllung des Bildungsauftrags interessiert sind und den Konflikt zwischen den Anweisungen und den Normen der Allgemeinen Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter an öffentlichen Schulen zu lösen, da sie ihn hindern diese Normen zu erfüllen.
Gunnar Kaiser zum Schulgesetz Nordrhein-Westfalen § 1 Recht auf Bildung, Erziehung und individuelle Förderung
“Die Anweisungen hindern mich außerdem an der Erfüllung des mir von der Landesverfassung und vom Schulgesetz erteilten Bildungsauftrages und stehen daher im Konflikt zu den Normen der
Allgemeinen Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter an öffentlichen Schulen
§ 5 Pädagogische Freiheit und Verantwortung
Es gehört zum Beruf der Lehrerinnen und Lehrer, in eigener Verantwortung und pädagogischer Freiheit die Schülerinnen und Schüler zu erziehen, zu unterrichten, zu beraten, zu beurteilen, zu beaufsichtigen und zu betreuen
sowie dem
Schulgesetz Nordrhein-Westfalen § 1 Recht auf Bildung, Erziehung und individuelle Förderung
(1) Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und sein Geschlecht ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung. Dieses Recht wird nach Maßgabe dieses Gesetzes gewährleistet
und dem
Schulgesetz Nordrhein-Westfalen § 2 Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule
(1) Die Schule unterrichtet und erzieht junge Menschen auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Landesverfassung. Sie verwirklicht die in Artikel 7 der Landesverfassung bestimmten allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele.
(2) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung. Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung.
Ich begründe meine Weigerung: Den mir von der Landesverfassung und vom Schulgesetz Nordrhein-Westfalen auferlegten Bildungsauftrag kann ich vor dem Hintergrund des Vertrauensverhältnisses zu meinen Schülerinnen und Schülern nicht erfüllen. Meine pädagogische Tätigkeit im Sinne einer bildenden und persönlichkeitsentwickelnden Arbeit baut in jeder Hinsicht auf der Beziehung zu meinen Schülerinnen und Schülern auf, die durch die Herstellung einer psychischen Stresssituation, die der sozialen Ausgrenzung und Beschämung Tür und Tor öffnet, und die Anmaßung medizinischer Kompetenz erheblich gestört wird.
Es ist zudem zu befürchten, dass in Zukunft nicht getestete Kinder vom Unterrichtsbesuch ausgeschlossen werden und die Teilnahme zur direkten oder indirekten Bedingung der Teilhabe an Bildung gemacht werden wird. Dieser bedenklichen Entwicklung möchte ich keinen Vorschub leisten. Ich halte diese Vorgänge in ihrer Unbedachtheit, Unbegründetheit und Unverhältnismäßigkeit nicht nur für einen sehr fragwürdigen Bruch mit medizinischen, rechtlichen und pädagogischen Prinzipien, sondern geradezu für einen Skandal und eine moralische Bankrotterklärung. “
Gunnar Kaisers umfassend begründete Antwort lautet daher:
Ich mache da nicht mit.
Ich weigere mich.
Ich sage nein.
Auf der anderen Seite
Auf der anderen Seite stehen die Befürworter strenger Maßnahmen, die glauben, die Verbreitung von Coronaviren durch strenge Maßnahmen, bis hin zu Schulschließungen und totalen Lockdowns verhindern zu können.
Über die Umsetzung der Testpflicht, die als ein Schritt in Richtung einer Impflicht verstanden werden muss, will NRW vor Schulbeginn nach den Osterferien informieren. Dies teilte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mit. Alle Schülerinnen und Schüler sollen demnach zwei Mal pro Woche Selbsttests durchführen.
Der Städte- und Gemeindebund NRW fordert eine rechtsverbindliche Corona-Testpflicht an den Schulen in Nordrhein-Westfalen, berichtet die WAZ. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Christof Sommer, habe mitgeteilt, dass der Selbsttest mit keinerlei gesundheitlichen Risiken verbunden sei. Eine Teilnahmepflicht sei deshalb auch zumutbar. „In einer Situation wie dieser mit Zehntausenden von Toten und steigenden Fallzahlen darf das Interesse an der Geheimhaltung des eigenen Gesundheitszustandes nicht höher gewichtet werden als der Infektionsschutz“, argumentierte Sommer. Falls die bisherigen Rechtsgrundlagen für eine Testpflicht nicht ausreichten, müsse nachgeschärft werden. Um infektiöse Personen aus den Schulen fernzuhalten, müssten sich wirklich alle Schüler, Lehrer und sonstiges Schulpersonal regelmäßig testen lassen.
Auch der nordrhein-westfälische Lehrerverband sprach sich für eine Corona-Testpflicht an Schulen aus. Dessen Präsident, Andreas Bartsch, sagte im WDR, eine Testpflicht sei unabdingbar, um nach den Osterferien Schulschließungen zu vermeiden. Bei den derzeit noch freiwilligen Tests würden etwa 20 bis 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht mitmachen, sagte Bartsch. „Das wäre also zumindest mal jeder fünfte Schüler, der ungetestet in die Schule kommt.“ Da die neuen Mutanten gerade bei den Jüngeren starke Auswirkungen hätten, sei eine Testpflicht unabdingbar, um nach den Osterferien Schulschließungen zu vermeiden.
Die Grünen unterstützen laut WAZ den Vorstoß, die SPD im NRW-Landtag spricht sich dafür aus, dass ein negatives Testergebnis nach den Osterferien Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht ist.
Über die Umsetzung will NRW vor Schulbeginn nach den Osterferien informieren, teilte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mit. Alle Schülerinnen und Schüler sollen demnach zwei Mal pro Woche Selbsttests durchführen.
Der Städte- und Gemeindebund die Testpflicht verlangt, um dadurch einen besseren Infektionsschutz und eine rechtsverbindliche Corona-Testpflicht an Schulen zu erhalten. Zuvor hatte die SPD die Testpflicht gefordert.
CDU-Cef Armin Laschet plant die Corona-Testpflicht für Schüler in Nordrhein-Westfalen in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“, 30. März
Gunnar Kaiser
Sein Debütroman ☛ “Unter der Haut” erschien 2018 im Berlin Verlag, als Taschenbuch 2019 im Piper Verlag. Übersetzungen erschienen 2019 auf Türkisch (Eksik Parca), 2020 auf Französisch (Fayard), Italienisch (Rizzoli), Griechisch (Klidarithmos) und Spanisch (☛ Bajo la piel). Gunnar Kaiser arbeitet seit 2001 als freier Journalist im Bereich Literatur, Kultur und Philosophie unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung, Schweizer Monat, Jüdische Allgemeine, taz, Rheinischer Merkur, Berliner Zeitung, Stadtrevue und literaturkritik.de. Seit 2016 betreibt er den Kultur-Blog und Youtube-Kanal KaiserTV. https://www.gunnarkaiser.de
Titelfoto: Screenshot, Video
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