Die Bundesrepublik Deutschland definiert sich als einen Rechtsstaat, “in dem man sich auf die Gesetze und deren Einhaltung verlassen kann. Ein Rechtsstaat erkennt außerdem die Menschenwürde und das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger an. Er garantiert die Grundrechte sowie die Freiheit aller.” Diese Merkmale, wie sie von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg definiert werden, gelten grundsätzlich als Merkmale des Rechtsstaats Deutschland.
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung in einer Werbekampagne: „Wir sind Rechtsstaat” den Rechtsstaat jedoch durch den Gesetzesstaat ersetzt. Sie erklärt: “Alles wird durch Gesetze geregelt. Das nennt man Rechts-Staat”. Gesetzesstaat und Rechtsstaat werden gleichgesetzt.
Demokratie und Gesetzesstaat sind nicht gleichzusetzen
Die Gleichsetzung von Rechtsstaat und Gesetzesstaat widerspricht dem Rechtsstaatprinzip. Der Satz “Alles wird durch Gesetze geregelt” unterschiedet die Demokratie nicht von einer Diktatur. Auch totalitäre Staaten sind Gesetzesstaaten.
Der Unterschied zwischen Demokratien und Diktaturen besteht in der Wahrung der Menschenrechte durch die Regierung und die Kontrollinstanzen der Bundesregierung, primär durch den Bundestag, das Bundesverfassungsgericht und den Verfassungsschutz.
Laut Grundgesetz sind die Grundrechte unveräußerlich. “Die bloße Bindung der Staatsgewalt an das Gesetz, der nur formale Gesetzesstaat, bietet keinen Schutz vor staatlicher Willkür. Das nationalsozialistische Herrschaftssystem kleidete seine Unrechtsmaßnahmen formal in Gesetze, vom Ermächtigungsgesetz bis zu den Rassengesetzen, und zerstörte damit den Rechtsstaat”, erklärt zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
Die Umwandlung des Rechtsstaats in einen Gesetzesstaat kann als Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die Regierung verstanden werden und wäre somit vom Verfassungsschutz zu untersuchen.
Verfassungsschutz
Im Rechtsstaat Deutschland hat der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben die Aufgabe, für die Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu sorgen.
Diese zentrale Aufgabe beinhaltet auch, dass das Bundesamt das Rechtsstaatsprinzip schützen und die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger vor Eingriffen des Staates sichern muss, und nicht nur umgekehrt, den Staat vor Eingriffen des Bürgers.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist allerdings nicht unabhängig, sondern dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) nachgeordnet und untersteht dessen Dienst- sowie Fachaufsicht. Bundesministerin des Innern und für Heimat im Kabinett Scholz ist derzeit Nancy Faeser (SPD).
Der Jurist Wolfgang Kubicki (FDP) stellt in seinem Buch “Die erdrückte Freiheit” fest, dass in der Corona-Krise “von verschiedener Seite versucht wurde”, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik “zu schleifen – nicht zuletzt vom Kanzleramt”. Er bedauert, angesichts dessen “gab es nur sehr wenige, die entschieden für demokratische Werte einstanden”.
Aktivitäten des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Die Aktivitäten des Bundesamtes für Verfassungsschutz beschränken sich auf neun Themenbereiche, die Verstöße gegen die Verfassung durch die Regierung nicht in Betracht ziehen. Der Verfassungsschutz nennt folgende Themenbereiche:
Diese neun Themenbereiche des Verfassungsschutzes zeigen eine markante Lücke: die Regierung ist von der Kontrolle durch den Verfassungsschutz ausgenommen.
Gründung des Bundesamts für Verfassungsschutz
Der Grund dafür, dass die Themenbereiche nicht den Schutz des Grundgesetzes vor Übergriffen durch die Bundesregierung beinhalten, hängt unter anderem mit der Entstehungsgeschichte des Bundesamtes zusammen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde am 7. November 1950 durch die Initiative der Alliierten Hohen Kommissare John Jay McCloy, Ivone Kirkpatrick und André François-Poncet aufgrund des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 27. September 1950 gegründet. Bis 1955 stand die Behörde unter Aufsicht der Alliierten.
Die Befugnisse und die Arbeitsweise des Amtes entsprachen den Vorgaben des Polizeibriefes der Alliierten vom 14. April 1949; dieser erlaubte die Einrichtung einer „Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten“. (Wikipedia)
Vorläufer war eine Tarneinrichtung der United States Army in Deutschland namens „Amt für Verfassungsschutz“, deren Agenten unter anderem die Aufgabe hatten, Informationen über die 1945 wieder zugelassene KPD zu sammeln. (Wikipedia)
Vorläufer des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der Weimarer Republik
Die Geschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz reicht bis in die Weimarer Zeit zurück. Der indirekte Vorläufer des Verfassungsschutzes ist unter anderem der Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung. Er existierte von 1920 bis 1929 und koordinierte die Nachrichtengewinnung über verfassungsfeindliche Bestrebungen im Deutschen Reich.
In seinem Buch “Vom Republikschutz zum Verfassungsschutz? Der Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung in der Weimarer Republik (Hochschule – Leistung … des Bundes für öffentliche Verwaltung)” legt Dirk Emunds erstmals eine umfassende Untersuchung der Geschichte und der Aufgaben des „Reichskommissars für Überwachung der öffentlichen Ordnung“ vor. Er widerspricht der Auffassung, dass der Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland ohne Beispiel in der deutschen Geschichte sei.
Der Reichskommissar war laut Emunds der zentrale Inlandsnachrichtendienst auf Reichsebene, der die Reichsregierungen über Umsturzbewegungen, Spionage und sonstige innenpolitische Gefährdungen informierte. Der Reichskommissar müsse als Vorläufer des Bundesamtes für Verfassungsschutz angesehen werden, sagt Emunds.
Verfassungsschutz zum Schutz der Regierung
Kommunisten (KPD), die den Interessen der USA in den Jahren nach 1945 zuwiderliefen, gibt es nicht mehr; sie wurden assimiliert. Neue Feindbilder traten an deren Stelle. Mit ihnen verschaffte sich die Bundesregierung einen ausufernden Spielraum zur Wahrung ihrer eigenen Interessen.
Im Verfassungsschutzbericht 2021 geht es folglich nicht um den Schutz der Verfassung, sondern um den Schutz der Corona- und Klimapolitik der Regierung. In diesem Sinne heißt es in dem Bericht:
“Wenn ich also sage und es auch beweisen kann, dass mehr Windkraft keinen Effekt auf die “Kohlendioxidminderung” hat und folglich dem Klima nicht hilft, bin ich dann ein Fall für den Verfassungsschutz?”, fragt ein Facebook-Nutzer.
Mit dieser Frage wird die Abkehr der Bundesregierung von Rechtsstaatsprinzipien, insbesondere der Meinungsfreiheit deutlich.
Corona-Politik
Der Verfassungsschutzbericht enthält grundlegende Orientierungen für die Bekämpfung kritischer Meinungen und Bewegungen, die pauschal unter der Bezeichnung “Extremismus” oder “Terrorismus” zusammengefasst werden. Als Extremisten gelten “Querdenker”, Wissenschaftler, Journalisten und im Grunde jeder, der seine Zweifel an den Maßnahmen der Bundesregierung äußert. Nancy Faeser etikettiert die Kritiker der Maßnahmen als Rechtsextremisten und somit zur “größten Bedrohung.”
Insofern überrascht auch nicht, dass nicht die Grundrechte, sondern die Corona-Politik im Vorwort von Nancy Faeser zum Verfassungsschutzbericht 2021 den ersten Platz einnimmt.
Die Folgen der Coronapandemie hätten unser Land und unser gesellschaftliches Zusammenleben geprägt, sagt die Innenministerin. Sie fokussiert sich jedoch ausschließlich auf Proteste gegen die Maßnahmen, verliert aber kein Wort über die gesellschaftlich relevanten Folgen, wie zum Beispiel Existenzvernichtungen, Preiserhöhungen, körperliche, geistige und seelische Schäden durch unbegründete Lockdowns, Impfkampagnen und deren gesundheitliche Folgen für die Gesellschaft.
Faeser delegitimiert die Proteste und erklärt nebensächliche Erscheinungen zum Kernproblem. Die Proteste seien “immer wieder Vereinnahmungsversuchen aus dem rechtsextremistischen Milieu, aber auch aus der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ausgesetzt” gewesen, sagt sie.
Kurios ist, dass die sozialdemokratische Innenministerin konstatiert, dass die Vereinnahmungsversuche nur vereinzelt erfolgreich waren, sie aber dennoch “besorgniserregende Tendenzen” feststellt.
Besorgniserregende Tendenzen wären Neigungen, sich kurz- oder langfristig in eine bestimmte demokratiefeindliche Richtung zu entwickeln. Weil eine derartige Tendenz nicht belegbar ist, erdichtet die Politikerin der SPD einen Verschwörungsmythos, der Kritikern der Corona-Politik endgültig die Luft abstellen soll. Sie unterstellt ihnen, dass in weiten Teilen der “Protestszene” “Verschwörungsmythen” und “antisemitische Ressentiments” inzwischen selbstverständlich verbreitet würden.
Dieser Vorwurf ist absurd. Vielmehr zeigen Berichte über Demonstrationen gegen die Corona-Politik, ein ganz anderes Bild. So hatte zum Beispiel Panorama anlässlich einer Demonstration in Hannover festgestellt: “Ein weiterer Teilnehmer sagt, er sei eher links; linke Werte seien für ihn, “dass man einfach als Gesellschaft mehr zusammenrückt, dass man als Gesellschaft in Gänze auch das zum Beispiel aushält, wenn hier mal ein paar Rechte rumrennen, dann rennen die hier halt rum. Aber man kümmert sich halt nicht mehr darum.”
Nancy Faeser geht um die Verteidigung der Regierung und ihrer Politik, die von einem großen Teil der Bevölkerung als menschenverachtend und verfassungswidrig gedeutet wird. Dies gilt nicht nur für Überlegungen zur Einführung einer Impfpflicht, eines Impfpasses und des Maskenzwangs, sondern auch für zentrale Fragen der Energiewende und auch für die Unterstützung der Kriegspolitik der Ukraine bis hin zur Kritik an fehlender staatlicher Unterstützung für die Opfer der Flutkatastrophe im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Sie nennt die menschenfreundliche Hilfe durch Freiwillige in einem Atemzug mit Kriminalität und rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten.
Anstatt das Versagen der Politik einzugestehen, greift die Innenministerin die freiwilligen Helfer bei der Flutkatastrophe an und diskriminiert sie. Sie hätten versucht, die Situation für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, behauptet Faeser.
Das Vorwort von Nancy Faeser zeigt deutlich, dass es der SPD-Politikerin und Bundesinnenministerin tatsächlich nicht um den Schutz der Verfassung geht, sondern um den persönlichen Schutz von Politikern vor der Bevölkerung, die sie wegen der menschenfeindlichen Politik zur Rechenschaft und zum Umdenken zwingt.
Wenn sich eine Regierung zu weit von der Bevölkerung entfernt hat und sie ihre Positionen mit Drohungen, Verboten, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diffamierungen durchsetzen muss, dann ist die Demokratie nicht “unsere”, sondern “ihre” Demokratie.
Regierung ohne Grenzen
Der Rechtsextremismus ist in Deutschland offenbar unbedeutend, und der Regierung droht Dank der Aufmerksamkeit der Bevölkerung von Rechtsextremen keine ernsthafte Gefahr. Aber sie dient als Vorwand, um all denjenigen den Krieg anzukündigen, die durch ihre Kritik an der Regierungspolitik unangenehm aufgefallen sind:
“Mein Ziel ist es, Radikalisierung zu stoppen, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen und Extremisten konsequent die Waffen zu entziehen. Um den Nährboden von Hass und Gewalt auszutrocknen, müssen zudem diejenigen, die im Netz Hass und Hetze verbreiten, identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden.”
Welche “Waffen” meint sie? Die Waffe des Wortes, der Analyse, der Meinungsfreiheit? Wo zieht die Regierung die Grenze zwischen Kritik und Hass? Kritik allgemein und Kritik an den handelnden Politikern? Ist die Bezeichnung “Kriegstreiber(in)” für Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bereits Hass oder eine begründbare Feststellung? Aus welchem Grund wird ausgerechnet an dem Menschenfreund Sucharit Bhakdi ein Exempel statuiert?
Es gibt noch den Linksextremismus
Links extremistisch motivierte Straftaten werden nach Auffassung Faesers “von konspirativ und professionell agierenden Kleingruppen planvoll und gezielt durchgeführt.”
Was Faeser nicht sagt: Die Aktionen der als “links” bezeichneten Gruppen erfreuen sich oft der Unterstützung der Bundesregierung. So antwortete zum Beispiel das Bundesumweltministerium (BMU) am 11.10.2019 auf Facebook direkt auf den Ruf von Extinction Rebellion (XR), mit den Worten: “Liebe Extinction Rebellion Berlin, wir hören euch! Wir kämpfen für dieselbe Sache – nämlich für mehr und besseren Klimaschutz. Deshalb handeln wir jetzt: Unser Klimaschutzgesetz verpflichtet diese und künftige Regierungen, alles dafür zu tun, um die Klimaziele einzuhalten.”
Und dann gibt es noch das böse Russland
“Zunehmend komplexe geheimdienstliche oder sicherheitsgefährdenden Aktivitäten fremder Mächte” seien eine ernsthafte Bedrohung Deutschlands und deutscher Interessen, sagt Faeser.
Namentlich nennt sie ausschließlich die Russische Föderation. Die Innenministerin wirft Russland vor, “ihren Medienapparat einschließlich dessen Kanäle in sozialen Medien für eine tendenziöse und teils diskreditierende Darstellung bestimmter Parteien und Personen nutzten.”
Das käme der Bundesregierung selbstverständlich niemals in den Sinn.
An Stelle eines Schlusswortes
Faina Faruz