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Rezension: Hans-Lothar Fischer – Deutsche Untergänge. Vom Ende der DDR bis zur Energiekrise

Gastbeitrag von Prof. Dr. Siegfried F. Franke

Mit seinem Buch „Deutsche Untergänge. Vom Ende der DDR bis zur Energiekrise“ legt Hans-Lothar Fischer eine tiefgehende Analyse über den ideologischen und strukturellen Zerfall eines Systems vor.
Prof. Dr. Siegfried F. Franke rezensiert das Werk kenntnisreich und zeichnet nach, wie aus dem ideologischen Scheitern der DDR Mechanismen hervorgingen, die bis heute in abgewandelter Form fortwirken.
Ruhrkultour veröffentlicht die Rezension mit freundlicher Genehmigung des Autors.


Rezension von Prof. Dr. Siegfried F. Franke:

Der emeritierte und renommierte Hochschullehrer Hans-Lothar Fischer meldet sich mit dem genannten Titel erneut zu Wort, um den Zusammenbruch der DDR zu erklären. Er knüpft dabei an sein vor knapp 20 Jahren erschienenes Buch „Nachträgliche Prognose vom Untergang der DDR“ an.2)

In dieser Arbeit beschrieb er – mit großer Sachkenntnis und aktengestützt – die mit äußerster Gewalt durchgesetzte Planwirtschaft sowjetischer Prägung mit all ihren negativen Folgen für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Aus der ideologisch bedingten Unkenntnis sowie dem ebenfalls ideologisch bedingten Unvermögen, grundlegende ökonomische Zusammenhänge zu begreifen und erlernen zu wollen, folgte unvermeidlich der Zusammenbruch der DDR.

Fischer, zuvor Hochschullehrer in der (alten) Bundesrepublik, stützte sich dabei auf die Erkenntnisse und Erfahrungen, die er in seiner Tätigkeit als Professor an der Westsächsischen Hochschule Zwickau erwarb (1993-2013).

Fischer baut in seinem jüngsten Buch darauf auf. Vor dem Hintergrund bislang eingetretener Entwicklungen und auf der Basis umfangreicher Aktenrecherchen und ihrer akribischen Auswertung arbeitet er die verheerenden Folgen des ideologisch-planwirtschaftlichen Unvermögens, die Bewertung und Notwendigkeit von Reinvestitionen zur Instandhaltung betrieblicher Funktionen zu begreifen, heraus.

Dieses ideologisch bedingte Unvermögen ging von den obersten Politinstanzen aus. Auch die geringsten Zweifel oder Verbesserungsvorschläge wurden zurückgewiesen und gebrandmarkt. Das Festhalten an den ideologischen Vorgaben musste strikt befolgt werden. Ihre Einhaltung wurde mit der sogenannten Nomenklatura sichergestellt.

Die „Nomenklatura“ war ein auch im Westen schon lange vor dem Mauerfall bekannter und genutzter Begriff. Nicht selten verengte sich dieser Begriff aber auf die starren Vorgaben der SED-Elite – die sogenannten Betonköpfe. Man machte und macht sich indessen oft keine Vorstellung davon, dass und wie stark ihre Einhaltung vom Staatsicherheitsdienst (Stasi) gesteuert wurde.

Dieses Netz mit Weisungs-, Melde- und Berichtspflichten von oben nach unten, von unten nach oben und in zahlreiche Seitenstränge führte dazu, dass schließlich niemand, nicht einmal die Mitglieder in diesem Netz, sicher sein konnten, nicht selbst in irgendeinem Bericht erwähnt worden zu sein. Das hatte oft nachteilige Folgen für die eigene Familie und die weitere Karriere (S.100 ff.).

Andererseits bildeten sich in diesem Netz der Nomenklatura auch stille Netze heraus, die wechselseitige Unterstützungen versprachen. Diese stillen Netze, auch „Frühstücksrunden“ genannt, überlebten die Wende und verhinderten bis heute einen wirklichen Neuanfang in vielen Bereichen.

Fischer belegt dies detailliert am Beispiel der Hochschulen sehr eindrücklich (S. 317 ff., insbes. S. 321 ff.). Die Lektüre der wiedergegebenen Berichte bzw. Protokolle mag ermüdend sein, aber selbst, wenn man sie flüchtig durchgeht, erhält man einen Eindruck von der krakenhaften und daher letztlich nicht fassbaren Wirkung dieser Netze.

Übrigens kann sich beim Leser unwillkürlich der Eindruck einstellen, dass – wenn auch der ideologische oder „werteorientierte“ Unterbau ein ganz anderer ist – die sich in der EU und in den einzelnen Mitgliedstaaten ausbreitende unübersehbare und vielfach vernetzte Bürokratie langfristig ähnlich schädliche Folgen haben wird.

Auch mag sich bei dem einen oder anderen politisch interessierten Zeitgenossen angesichts der in Deutschland wie Pilze aus dem Boden schießenden „Meldestellen“ das ungute Gefühl breit machen, wegen irgendeiner läppischen Äußerung irgendwo notiert worden zu sein – gerade so, wie weiland in der DDR.

Diese nachteiligen Folgen belegen die drei letzten Kapitel des Buches von Fischer, in denen er auf die Kosten des deutschen Politikbetriebs (S. 279 ff.) sowie auf die Kosten und Risiken der deutschen Energiewende (S. 386 ff.) und auf den Energiemarkt (S. 395 ff.) eingeht.

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1) Prof. em. Dr. habil. Siegfried F. Franke, Jg. 1942, lehrte in Hamburg, Stuttgart und Budapest. Derzeit ist er Gastprofessor an der Andrássy Universität Budapest.

2) Hans-Lothar Fischer: Nachträgliche Prognose vom Untergang der DDR, Münster 2005: Monsenstein und Vannerdat.


Kommentar von Ruhrkultour:
Die klare und ruhige Analyse von Prof. Franke verweist nicht nur auf ein historisches Phänomen, sondern öffnet den Blick auf gegenwärtige Entwicklungen:
Verwaltungsapparate, politische Netzwerke und gesellschaftliche Überwachungstendenzen scheinen – trotz aller Unterschiede – in gefährlicher Weise alte Muster zu wiederholen.
Ruhrkultour dankt Prof. Franke für seine präzise Arbeit und versteht diese Rezension als einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über den oft schleichenden Verlust von Freiheit und Selbstbestimmung.


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