Wie man das Volk für dumm verkauft
Deutschlands Regierung hat sich im Bereich der Verkehrspolitik eindeutige Ziele gesetzt: Spätestens ab 2050 sollen im Pkw-Bereich nur noch sogenannte Nullemissions-Fahrzeuge (Zero-Emission-Vehicles, ZEV) zugelassen werden [ZEV], und auch im Nutzfahrzeugbereich will man entsprechende Anstrengungen unternehmen. Dies entspricht auch den Planungen der Regierung bezüglich des „Klimaschutzes“, in deren Rahmen die Emission angeblicher „Treibhausgase“ im gleichen Zeitrahmen um 80 bis 95 % reduziert werden soll. Damit ist das Todesurteil für nahezu die gesamte deutsche Kfz-Industrie, wie wir sie heute kennen, gesprochen, denn es gibt im Prinzip nur eine einzige ZEV-Technologie: Den Elektroantrieb.
Mit der Unterzeichnung des „Klimaschutzabkommens“ von Paris (COP 21) hat sich die Bundesregierung ehrgeizige Zeile gesetzt, was die Reduzierung von CO2-Emissionen und die damit verbundene „Dekarbonisierung“ der Volkswirtschaft angeht. Wie schwer dies fallen dürfte, kann man daran ermessen, dass es trotz zahlreicher seit Jahren massiv betriebener politischer Maßnahmen – Stichwort Energiewende – nicht gelungen ist, die deutschen CO2-Emissionen von ca. 1051 Mio. t im Jahre 1990 weiter als bis auf ca. 800 Mio. t/ Jahr zu senken. Bild 1 zeigt, dass man hier offensichtlich an eine „harte“ Grenze gestoßen ist, die sich nicht so ohne weiteres überwinden lässt. Zumindest dann nicht, wenn man sich als Regierung dem Erhalt von Arbeitsplätzen und dem Wohlstand des Volkes verpflichtet sieht.
Allerdings hat Deutschland eine Regierung, die diesbezüglich offensichtlich anders gestrickt ist. Mit Unterzeichnung des COP21-Abkommens hat man sich verpflichtet, die deutschen CO2-Emissionen bis 2050 auf maximal 210 Mio. t/ Jahr, möglichst sogar auf nur noch 53 Mio. t/ Jahr zu reduzieren. Jetzt gibt es in diesem Zusammenhang einen Entwurf zu einer Neuauflage der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, der im Herbst dieses Jahres verabschiedet werden soll [SUDE]. Das wird nur mit brutalem Zwang gehen. Beispielsweise durch weitgehende Vernichtung der deutschen Industrie, allen voran der Autobranche, an der noch 2015 rund 800.000 Jobs hingen [AUBE]. Denn die aktuellen Planungen der Regierung beweisen, dass der Stab über das Auto bereits gebrochen ist und selbst eine Umstellung auf E-Mobile diese Branche nicht mehr retten dürfte.
Kaum Interesse an Elektroautos
Dieser Kurs dürfte selbst angesichts der bereits jetzt erkennbaren Probleme unverändert beibehalten werden. Auch hierbei zeigt sich, dass unseren Regierenden Ideologie alles und praktische Daseinsvorsorge nichts bedeutet. Wenn man den Straßenverkehr in Deutschland komplett auf elektrisch betriebene Fahrzeuge umstellen will, dann sollte man als verantwortliche Regierung eigentlich auch dafür sorgen, dass hierdurch auch die Mobilitäts- und Transportbedürfnisse der Bevölkerung in gleichwertiger Weise abgedeckt werden können wie bisher. Dies ist beim derzeit verfügbaren Stand der Technik nicht der Fall.
Die Zahl der in Deutschland fahrenden reinen Elektrofahrzeuge ist mit rund 25.500 Zulassungen bis Ende 2015 [AUBI] im Vergleich zu den erklärten Zielen (1 Mio. bis 2020 und sechs Mio. bis 2030) geradezu lächerlich niedrig. Trotz intensiver Fördermaßnahmen ist die diesbezügliche Politik bisher kläglich gescheitert. Auch die ab Juli 2016 gewährte Prämie von bis zu 4000,- € beim Kauf eines E-Fahrzeugs wurde im ersten Monat lediglich 1.791 Mal abgerufen [PRAE]. Die Fahrzeuge werden in der Breite der Bevölkerung nicht angenommen, weil sie zu unpraktisch und zu teuer sind. Zu den größten Hindernissen zählen die geringen Reichweiten, die langen Ladezeiten, die geringe Batterielebensdauer und die hohen Wertverluste.
Stromer-Pkw brauchen Strom…
Es gibt allerdings noch einen weiteren wichtigen Nachteil, der wegen der geringen Zahl zugelassener Elektroautos im öffentliche Bewusstsein bisher keine Rolle gespielt hat: Den Strombedarf der E-Mobile. Immerhin beträgt der aktuelle Pkw-Bestand in Deutschland rund 45 Mio. Stück [STPK], und ihre durchschnittliche Jahresfahrleistung liegt nach Erkenntnissen des Kraftfahrtbundesamtes [JAFA] bei 14.260 km. Die Frage muss daher zunächst lauten, wieviel Strom für die vollständige Elektrifizierung benötigt wird.
Hierzu gibt es zahlreiche geschönte Angaben der Hersteller. Zum Glück gibt es realistische Zahlen von unabhängiger Seite. Im Rahmen einer sehr ausführlichen Studie des Instituts für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik der Technischen Universität Wien vom Oktober 2012 [OEST] wurde festgestellt, dass der durchschnittliche Energiebedarf eines typischen Elektro-Automobils mit üblichem Nutzerprofil (Stadt- und Landfahrten, 15.000 km/ Jahr) bei 25,5 kWh/ 100 km liegt. Hinzu kommen allerdings noch Lade-/ Entladeverluste von 24,7 % sowie Leitungsverluste zwischen Kraftwerk und Anschlusspunkt von knapp 6 % [VERL]. Wird dies korrekt berücksichtigt, so benötigt ein typisches E-Automobil eine Energiebereitstellung ab Kraftwerk von 36 kWh/ 100 km. Für die komplette Umstellung der deutschen Pkw-Flotte ergibt sich demnach bei Annahme ansonsten konstanter Verhältnisse ein Gesamtbedarf an elektrischer Energie ab Kraftwerk von 231 Terawattstunden (TWh) pro Jahr.
…und strombetriebene Lkw ebenso
Angesichts der klaren Regierungsvorgaben bezüglich der Reduktion von verkehrsbedingten CO2-Emissionen wäre es unrealistisch zu erwarten, dass man bei Nutzfahrzeugen etwas anderes als 100 % Strombetrieb zulassen würde. Da es in diesem Bereich kaum repräsentative Untersuchungen zum Bedarf an elektrischer Energie gibt, ist es für eine entsprechende Abschätzung am einfachsten, wenn man dabei den Umweg über die Flottenverbräuche wählt. So beziffert eine Studie der Deutschen Energieagentur für das Jahr 2010 den Energiebedarf der deutschen Pkw-Flotte mit 1.441 PJoule (PetaJoule), während Nutzfahrzeuge und Busse zusammen auf 669 PJoule kamen [DENA]. Das Verhältnis lag demnach bei 0,46/1. Bei Umstellung aller Lkw und Busse auf E-Antrieb würden diese demnach im Jahr rund 106 TWh an elektrischer Energie benötigen. Zusammen mit dem Pkw-Bereich wären für eine vollständige Elektrifizierung dieser Sektoren demnach 337 TWh/ Jahr bereitzustellen.
Selbstverständlich gelten diese Annahmen nur unter der Voraussetzung mehr oder weniger konstanter Verhältnisse. Bei Projektionen über derart lange Zeiträume sind erhebliche Veränderungen zu erwarten. Aufgrund dieser Unsicherheiten müssen die oben errechneten Relationen zwischen Pkw und Nutzfahrzeugen als reine Anhaltswerte für grobe Abschätzungen genügen. (Mathematiker vertreten in solchen Situationen häufig die Ansicht, es sei besser, ungefähr richtig als genau falsch zu kalkulieren).
Gleichzeitig soll die Stromproduktion sinken
Natürlich ergibt sich aus diesen Überlegungen als nächstes die Frage, wo dieser zusätzliche Strombedarf herkommen soll. Im Prinzip müssten bereits jetzt Planungen anlaufen, um bis zum Jahre 2050 zusätzliche Kapazitäten für die geplante „Elektrifizierung“ des Straßenverkehrs zu schaffen. Bis dahin, so die normalerweise naheliegende Schlussfolgerung, müssten ja voraussichtlich zusätzlich zum aktuellen Stromverbrauch von ca. 510-524 TWh/ Jahr [AGEB] weitere 337 TWh/ Jahr für den Verkehrssektor erzeugt werden.
Wer jedoch so denkt, gehört anscheinend zur megaveralteten Denkkategorie der „schwäbischen Hausfrau“. Stattdessen will die Bundesregierung übergeordneten Aspekten der Klima- und Planetenrettung Priorität einräumen und legt sich unter dem Motto „Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie“ [SUVA] auf eine massive Verringerung fest, Bild 4. Da der Verbrauch 2008 bei 524 TWh lag, dürften nach diesen Planungen im Jahre 2050 nur noch 393 TWh erzeugt werden.
Die wundersame Stromvermehrung
Damit geht die deutsche Regierung bezüglich des künftigen Stromverbrauchs nochmals deutlich über die Reduktionsziele einer Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahre 2010 mit dem Titel „Energieziel 2050: 100% Strom aus erneuerbaren Quellen“ [UMBA] hinaus. Dort war für 2050 noch von insgesamt 468,4 TWh Stromverbrauch ausgegangen worden, davon 396,7 TWh für Haushalte, Gewerbe, Dienstleistungen und Industrie sowie immerhin 71,7 TWh für den Verkehrsbereich. Selbst diese zusätzlichen 71,7 TWh für den elektrifizierten Straßenverkehr hat die Bundesregierung im jetzt vorliegenden Entwurf [SUDE], der noch im Herbst dieses Jahres verabschiedet werden soll, gestrichen. Ausweislich dieses offiziellen Dokuments scheint man davon auszugehen, dass für den 2050 nahezu vollständig auf E-Mobilität umzustellenden Verkehrssektor gar keine Stromerzeugung erforderlich sein wird. Es ist demnach völlig egal, ob es der Industrie in den nächsten Jahren gelingen wird, Wunderakkus zu entwickeln, welche eine Speicherdichte wie Benzin bieten, ewig halten und selbst an den Polen ohne Beheizung eingesetzt werden können: Wo kein Strom ist, kann auch nichts geladen werden. Helfen könnte dann nur noch ein Wunder, das selbst die aus der Bibel überlieferte wundersame Brotvermehrung Jesu weit in den Schatten stellen würde. Doch auch hier gilt der Spruch unserer höheren Pfarrerstochter: „Wir schaffen das“.
Fred F. Mueller
Quellen:
[AGEB] Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V. Auswertungstabellen zur Energiebilanz Deutschland 1990–2014 Stand August 2015. http://www.ag-energiebilanzen.de/
[AUBE] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/30703/umfrage/beschaeftigtenzahl-in-der-automobilindustrie/
[AUBI] http://www.autobild.de/artikel/kaufpraemie-fuer-elektroautos-update-8535657.html
[DENA] Verkehr. Energie. Klima. Alles Wichtige auf einen Blick. Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena). ISBN: 978-3-9813760-7-4
[EINH] http://www.ag-energiebilanzen.de/33-0-Energieeinheitenumrechner.html
[JAFA] http://www.auto-motor-und-sport.de/news/pkw-fahrleistung-in-deutschland-2013-9730895.html
[OEST] Geringer, B.; Tober, W. K.: Batterieelektrische Fahrzeuge in der Praxis. Kosten, Reichweite, Umwelt, Komfort (2. erweiterte und korrigierte Auflage). Institut für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik, Technische Universität Wien, Oktober 2012.
[PRAE] http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/kaufpraemie-fuer-elektroautos-floppt-a-1106201.html
[STPK] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/12131/umfrage/pkw-bestand-in-deutschland/
[SUDE] Bericht der Bundesregierung zum High-Level Political Forum on Sustainable Development 2016. 12 Juli 2016.
[UMBA] Energieziel 2050: 100% Strom aus erneuerbaren Quellen. Umweltbundesamt. 2010. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/energieziel-2050
[VERL] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbertragungsverlust
[WIVE] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbertragungsverlust
[ZEV] http://www.zevalliance.org/
Titelfoto: StockSnap, pixabay
Leseempfehlung:
Der Ingenieur Michael Limburg und der Wissenschaftsjournalist Fred F. Mueller erklären in einfacher, auch für Laien leicht verständlicher Weise, wie unser Stromversorgungssystem funktioniert.
2 Gedanken zu “Das deutsche Energiewende-Wunder: Elektromobilität ganz ohne Strom”
Lieber Joe,
schöner Kommentar, der exemplarisch aufzeigt, wieso in Deutschland mit der Bildung so einiges im Argen liegt. Im Artikel wurde akribisch und mit ausführlichen Quellenangaben der wahre Brutto-Stromverbrauch von Elektrofahrzeugen über verschiedenste Betriebsmodi und Jahreszeiten untersucht. Stattdesen empfehlen Sie, sich an den Anzeigen im Cockpit einer E-Karre zu orientieren. Dort wird allerdings nur das angegeben, was AUS der Batterie kommt. Doch bereits die Batterie hat einen Ladeverlust (der umso grösser ist, je weniger sie genutzt wird). Den muss das Kraftwerk ebenso kompensieren wie Verluste in der Stromkette bis zum Ladesystem und die Verluste in diesem Ladesystem selbst.
Hr. Schmidt, klipp und klar gesagt, Sie können offensichtlich brutto und netto nicht unterscheiden. Mathe abgewählt? Ist doch gar nicht so schwer nachzuvollziehen, denken Sie mal an Ihr Bruttogehalt und dann schauen Sie mal, was am Monatsende auf Ihrem Konto angekommen ist. So ist das auch mit der Cockpit-Anzeige im E-Auto und dem Strom, den das Kraftwerk dafür tatsächlich ins Netz pumpen muss.
Dann gibt es auch noch verschiedene Arten, ein E-Auto zu fahren. Wenn man bei schönem Wetter eine Landpartie ohne Ampeln bei 70 km/h macht, kann es durchaus sein, dass man mit 20 kWh pro 100 km hinkommt. Schaltet man dagegen bei eisiger Witterung die Heizung ein und muss 50 km Stop and go im Stau absolvieren, sieht die Geschichte schon ganz anders aus. Solche Aspekte sind in den aufgeführten Quellen berücksichtigt worden. Mir beispielsweise fällt auf der Autobahn immer wieder auf, dass die wunderschönenn Teslas und anderen E-Karren, die man da ab und zu sieht, selten schneller als 120 km/ h fahren? Warum wohl?
Freundliche Grüsse
Ich möchte mich dafür entschuldigen, versehentlich auf diese Webseite geraten zu sein. Ich komme aus einer anderen Welt in Deutschland und habe versucht, ein aktuelles E-Auto zu kaufen:
– VW eGolf: Jahresproduktion ausverkauft, Wartezeit ab 2019 ca. 6-8Monate
– Nissan Leaf II: ca. 10Monate
– Hyundai Ioniq ca. 10-12Monate
Andere Alternativen sind entweder nicht verfügbar (Familienkombi mit AHK gibt es nicht), zu klein (Renault Zoe) oder schlicht zu teuer (Tesla). Den Spruch “Kaum Interesse an Elektroautos” sollte der Autor evtl. noch einmal überdenken, wenn die Hersteller nicht einmal die wenigen produzierten Modelle in ausreichender Stückzahl liefern können.
Für den Energieverbrauch empfehle ich, sich mal einés dieser aktuellen E-Autos auszuleihen und selbst zu messen. Ihre “errechneten” 36kWh/100km sind von der Realität ebenso entfernt wie Ihre Spekulationen zur kompletten (!!!) Umstellung des Kfz-Bestandes bis 2050. Falsche Schlussfolgerungen aus falschen Annahmen werden auch nicht wahrer, wenn für Details Quellen angegeben werden.
Das die derzeitige Verkehrspolitik nicht wie von Ihnen angenommen endlos weitergeführt werden kann – da gebe ich Ihnen Recht.
Für das Stromproblem habe ich aber eine ganz einfache Lösung:
Schütten Sie doch einfach die 5-8Liter Treibstoff/100km (ca. 50…80kWh) in einen Dieselgenerator und mit nur 30% Wirkungsgrad gewinnen Sie vor Ort 15…24kWh – was (da ohne Leitungsverluste) völlig ausreicht für jedes E-Auto.
Quelle: spritmonitor.de sowie diverse Alltagstests