Hossenfelder

Was läuft falsch in der Physik?

Wenn Physiker die Frage stellen, was in der gegenwärtigen Physik falsch läuft, hören Nicht-Physiker besonders aufmerksam hin. Wenn in der Physik etwas falsch läuft, wo läuft dann noch etwas richtig? Oder, anders gefragt, findet man in der gegenwärtigen Physik Erklärungen dafür, was in der Wissenschaft in Deutschand nicht stimmt?

Das Schönheits-Dilemma in der Physik

Physiker glauben häufig, dass die besten Theorien schön, natürlich und elegant seien, sagt die Physikerin Sabine Hossenfelder in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. Was schön ist, muss wahr sein. Diese Betrachtungsweise führe dazu, dass die Objektivität darunter leidet und ein Gruppendenken schließlich zum Stillstand der Wissenschaft führt. Hossenfelder denkt nicht nur an die Physik.

Es bestehe eine gewisse Einigkeit darüber, was unter „schön“ zu verstehen sei, sagt die Physikerin. Mehr Symmetrie zum Beispiel sei danach immer besser als weniger. So komme dann die Idee von der großen vereinheitlichenden Kraft oder die von der Supersymmetrie auf, die sich den Beobachtungen entziehe und sich nicht mehr bestätigen lasse. In den Grundlagen der theoretischen Physik beharre man sehr auf diesem Schönheitsideal.

Diese Auffassung teilt Hossenfelder nicht. Schon ihre Mutter habe ihr beigebracht: „Symmetrie ist die Kunst der Dummen.“

Streben nach Beliebtheit bei den Eliten

Kritiker halten sich mit ihren Kommentaren zu dem Vortrag Hossenfelders bei Youtube weitestgehend zurück. Vielleicht deshalb, weil sie die Kritik Hossenfelders an der Physik nicht verstehen, oder weil sie ihr zustimmen.

 

Sabine Hossenfelder erntet von den Youtube Kommentatoren eher Anerkennung für ihren Mut, sich in einem öffentlichen Vortrag so kritisch über die Herangehensweise der Wissenschaft als solche zu äußern. Neu ist für einige Leser der Gedanke, dass so etwas wie ein Zwang zu einer Schönheit und Ästhetik in der Entwicklung einer Theorie das oberste Gebot darstellt und ein Kriterium dafür ist, die Beliebtheit in den Eliten zu erringen. Sabine Hossenfelder ist überzeugt, dass die Physik sich damit verrannt hat und ein Stillstand der Physik eingetreten ist. Der Glaube an Schönheit ist aus ihrer Sicht dogmatisch geworden.

Es sei für Theoretiker heute gang und gäbe, an Überlegungen zu arbeiten, die nicht durch Experimente widerlegt werden können, sagt Sabine Hossenfelder.

Dieses Verhalten ist aus ihrer Sicht nicht nur bequem, sondern auch für viele Wissenschaftler ein Selbstschutz zur Sicherung ihrer beruflichen Existenz. Mit dem Streben nach Schönheit ecken sie nicht an und erfüllen die Erwartung, die an sie gestellt werden, nämlich Artikel zu veröffentlichen, sagt Sabine Hossenfelder. Der Druck sei immens: “Wer keine Artikel veröffentlicht, ist ruckzuck weg vom Fenster. Er bekommt keine Stelle, kein Geld. Darum wachsen natürlich die Felder, auf denen sich viele Artikel produzieren lassen, besonders schnell.”

Stagnation in der Theorieentwicklung

Im Interview mit der Frankfurter Rundschau erklärt die Physikerin, dass ihr niemand widerspreche, wenn sie davon rede, dass wir uns in einer Sackgasse befinden. “Die Stagnation ist unübersehbar. Jeder weiß es. Seit den siebziger Jahren haben wir keinen Fortschritt gemacht in der Theorieentwicklung.” Reflektieren Physiker ihre eigene Funktion?

Unter den theoretischen Physikern gibt es nach der Erfahrung Hossenfelders kaum jemanden, der ernsthaft darüber nachdenke und bereit sei, seine Arbeit in Frage zu stellen und der Ursache des Stillstands auf den Grund zu gehen.

Eine Erklärung für den Stillstand der gegenwärtigen Physik sieht Sabine Hossenfelder im starken Gruppendenken. “Die Leute erzählen sich immer wieder selbst, wie richtig und wichtig das ist, was sie machen. So setzen sich dann auch erfolglose Methoden fest.” Sie erwähnt außerdem, dass es diese Stagnation nicht nur in der Physik gibt.

Besonders gravierend sei, dass Physiker bestreiten, ihre Überlegungen könnten irgendetwas mit der Umgebung, in der sie sich bewegen, zu tun haben. “Sie wissen nichts von Ludwik Flecks auch schon mehr als 80-jähriger Einsicht, dass Erkenntnis ein soziales Phänomen ist und nicht allein zwischen dem einzelnen Forscher-Subjekt und dem erforschten Objekt produziert wird. Sie haben nie etwas gehört von Gruppenpsychologie. Sie sind in einem erschreckenden Umfang naiv. Je weniger ihnen ihre Lage bewusst ist, desto mehr bleiben sie in ihr stecken, desto mächtiger wird der vorherrschende Trend. Dann machen alle nur noch dasselbe. Das Geld, die Stellen gehen alle in eine Richtung. Alles ist gleichgeschaltet. So sieht es aus.”

Konsequenzen der Stagnation in der Physik

Die Physik ( griechisch φυσική, physike “die Natürliche”) ist die Naturwissenschaft, welche die grundlegenden Gesetze der Natur, ihre elementaren Bausteine untersucht. Sie untersucht vielfältige Naturerscheinungen und wendet typische Denk- und Arbeitsweisen an, die z. B. mit solchen Tätigkeiten wie dem Beobachten, dem Messen und dem Experimentieren verbunden sind. Traditionell wird die Physik in die Teilgebiete Mechanik, Wärmelehre (Thermodynamik), Elektrizitätslehre (Elektrik), Optik, Atom- und Kernphysik sowie Energie eingeteilt. Dieses Wissen gehört zum Grundlagenwissen von Schülern.

Physik ist außerdem die Grundlage aller Naturwissenschaften bis hin zur Medizin. Sie sei in der Lage, “grundlegende physikalische Mechanismen aufzuklären, die in den angrenzenden Wissenschaften wie Chemie, Biologie und Medizin nur phänomenologisch beschrieben werden können”, heißt es in der Beschreibung des Studienfachs Physik (Bachelor) an der Ludwig-Maximilians-Universität-München (LMU).

Wenn Physik zu studieren also auch heißt, “sich schon heute mit Technologien auseinanderzusetzen, die erst in Zukunft zum Einsatz kommen werden” (LMU), dann wird nicht nur ihre zentrale Brückenfunktion unter den Naturwissenschaften deutlich, sondern auch ihre Relevanz für andere Wissenschaftsbereiche, bei denen wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Entscheidungen eine Rolle spielen, zum Beispiel bei der Energiegewinnung.

Ein Gruppendenken, das nach der Beliebtheit bei der Elite strebt, muss sich zwangsläufig katastrophal auf die Physik, ihre Teilgebiete und auf die angrenzenden Wissenschaften auswirken. Es wird sich nicht zuletzt auch in Schul- und Bilderbüchern niederschlagen.

Die Physik hat unter den Wissenschaften eine Art Leitfunktion, da sie ein kritisches Korrektiv gegenüber der Theologisierung der Naturwissenschaften und damit auch des gesellschaftlichen Lebens sein kann. Mittelalterlich-religiöse Vorstellungen über “Apokalypse”, “Fegefeuer” und eine sündige Menschheit wurden von der Elite unter dem Framing “Klimakatastrophe” in die Köpfe der Menschheit implementiert. Kritik an der Idee, das Klima sei so gut wie ausschließlich menschengemacht, wird als Blasphemie betrachtet, Kritiker werden als “Klimaleugner” geächtet.

Die Physik hat verloren, weil sie zugelassen hat, dass auf der Grundlage eines einzigen Faktors, CO2, Wissenschaftler Simulationen erstellt haben, die der Menschheit die Möglichkeit einer exakten Klimavorhersage bis zum Jahr 2050 und darüber hinaus vorgaukeln. Die schweigenden Physiker, die mit sich und ihrer Gruppe beschäftigt sind und ihre Funktion in der Gesellschaft nicht reflektieren, haben Verrat an der Physik, der Meteorologie und der Klimaforschung, insbesondere aber an den Menschen begangen, die im Namen des Klimaschutzes zum Klimakreuzzug aufrufen.

Erich Boson


Anmerkung zum Video
Universität Stuttgart
Am 14.05.2019 veröffentlicht
Vortrag an der Universität Stuttgart von Sabine Hossenfelder
Frankfurt Institute for Advanced Studies.

Sabine Hossenfelder, geb. 1976, studierte Physik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie 2003 mit dem Thema „Schwarze Löcher in Extra-Dimensionen“ mit Auszeichnung promovierte. Nach Forschungsaufenthalten in den USA, Kanada und Schweden ist sie gegenwärtig Research Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies. Neben ihren zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen schreibt sie auch regelmäßig für Magazine wie u.a. »Spektrum der Wissenschaft«, »Scientific American« oder »New Scientist«. Darüber hinaus betreibt sie einen Blog zu allgemeinen wissenschaftlichen Fragen. Auf Youtube hat sie einen eigenen Kanal mit u.a. eigenen Musikvideos.

In ihrem Buch „Das hässliche Universum – Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt“(S. Fischer, 362 Seiten, 22 Euro) kritisiert Hossenfelder den aktuellen Zustand ihres Faches.

Homepage Sabine Hossenfelder: http://sabinehossenfelder.com/
Blog Sabine Hossenfelder: http://backreaction.blogspot.com/

Foto: Screenshot Video

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Wernicke


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