DENK feiert einen historischen Augenblick

Ein unbeschreibliches Wohlgefühl hat Politiker in Europa erfasst. Sie sehen das Wahlergebnis in den Niederlanden als Bestätigung für ihre weltoffene Politik. Dass die Große Koalition in den Niederlanden abgewählt wurde, ist für sie kaum der Erwähnung wert. Geert Wilders hat mit seiner Anti-EU-Politik nicht das befürchtete hohe Wahlergebnis erreicht, allein das zählt. Dass die VVD, die Partei von Ministerpräsident Mark Rutte, ein Fünftel ihrer Wählerschaft und zehn Sitze verloren hat – geschenkt. Dass die Sozialdemokraten die ganz großen Verlierer der Wahl sind, sie haben 29 Sitze verloren – wen stört’s? Europa ist gerettet und die Gefahr eines NEXits abgewendet. Stimmt das? Wird nicht im Vollrausch der Sieges-Gefühle eine Kleinigkeit übersehen? Diese Kleinigkeit ist eine Partei, die drei Sitze in der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments ergattert hat. Sie nennt sich “Denk”. Denk mal nach!

DENK feiert historischen Augenblick

Wen oder was immer die EU-Politiker auch feiern mögen, es gibt tatsächlich Gewinner der niederländischen Parlamentswahlen. Geert Wilders hat trotz einer extrem hohen Stimmbeteiligung ein paar Prozent gewinnen und Zweiter werden können. Und außerdem gibt es noch eine Partei, die einen “historischen Augenblick” feiert: DENK. Die Partei, die Wikepdia als “links” bezeichnet, hat drei von insgesamt 150 Sitzen in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments errungen. Die Zweite Kammer ist von größerer Bedeutung als die Erste Kammer, sie ist das eigentliche Gesetzgebungsorgan, während die Erste Kammer der Generalstaaten Gesetzentwürfe nur bestätigen oder ablehnen kann.

“Historisch moment voor DENK”, jubelt die Partei auf ihrer Facebookseite am 16.03.2017. Der Senkrechtstarter ist im niederländischen Parlament mit drei Sitzen vertreten. In den zwei großen Städten der Niederlande Rotterdam (8,1 Prozent) und Den Haag (7,1 Prozent) hat Denk bei den Wahlen sogar besser abgeschnitten als die Sozialdemokraten. “Ich bin nicht gläubig, aber ich habe ein Hirn, und deshalb habe ich für Denk gestimmt”, schreibt Ray K. in einem Kommentar, und er fährt fort: “Denk will Gleichwertigkeit, und die haben wir im Moment nicht. Die Islamfeindlichkeit wächst, immer noch ungestraft. Wir Leben nicht in einem jüdisch-christlichen Staat, wir leben in den Niederlanden, was deine Religion auch sein mag. Die Niederlande sind wir alle.” Der Leser Henri K. antwortet, dass es so sein könne, er finde aber nichts Positives bei Denk, weil Denk nicht auf Distanz zum “Irren in der Türkei” gehe. Henri K. kritisiert, dass ein großer Teil der Facebook-Kommentare Denk aus Hass und Ablehnung der Niederlande bestünden. Hass und Ablehnung, befeuert durch eine aggressive Einmischung islamisch regierter Staaten in westliche Politik, gibt es in der Ideenwelt der selbsternannten Islam- und Migrantenverteidiger nicht. Eine Schwäche ihrer Analyse, die in ein soziales Fiasko führen kann.

Türkischer Außenminister warnt vor „Religionskriegen“ in Europa

Nach den Parlamentswahlen in den Niederlanden drohte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, Europa werde schon lernen, wie man mit der Türkei umzugehen habe. Ansonsten werde die Türkei es Europa beibringen. Cavusoglu warnte laut dpa vor einem Glaubenskrieg in Europa. „Ihr werdet von Eurem befehlenden Diskurs absehen. Die Türkei befiehlt“, sagte er. Die Türkei sei die „Umma“, die weltweite Gemeinschaft von „zwei Milliarden“ Muslimen. „Deshalb könnt Ihr mit der Türkei nicht im Befehlston sprechen. Ihr müsst anständig reden, Ihr könnt um etwas bitten.“

Die Parlamentswahlen in den Niederlanden kommentierte Cavusoglu mit den Worten: „Zwischen den Sozialdemokraten und dem Faschisten (Geert) Wilders besteht überhaupt kein Unterschied, alle denken gleich“ und kündigte weitere Schritte gegen die Niederlande an. Zur Erinnerung: Die türkische Regierung hatte äußerst empört auf die kurz vor den Wahlen erteilte Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Minister in den Niederlanden und Deutschland reagiert. Zum Eklat kam es vergangenes Wochenende, als die Niederlande einen Auftritt der türkischen Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in Rotterdam verhinderte.

„Ihr führt Europa einem Abgrund entgegen“, sagte Cavusoglu laut dpa im südtürkischen Antalya nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom Donnerstag. „Bald könnten in Europa auch Religionskriege beginnen, und sie werden beginnen“.

Applaus von vielen Seiten

Die Referentin der Niederländischen Bischofskonferenz für die Beziehungen zur Politik, Danielle Woestenberg, zeigte sich laut  islamiq.de über das Wahlergebnis erfreut. „Die Parteien der Mitte haben gewonnen“, sagte Woestenberg auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), berichtet islamiq.de, ein deutschsprachiges Online-Nachrichtenportal zu den Themen Islam und Muslime in Deutschland und Europa.

Vertreter katholischer und muslimischer Organisationen haben das Wahlergebnis in den Niederlanden begrüßt: „Wir sind sehr glücklich über das Ergebnis der Parlamentswahlen“, zitiert islamiq Rasit Bal, den Vorsitzenden des niederländischen Moschee-Dachverbands Contactorgaan Moslims en Overheid (CMO), der sich nach den Parlamentswahlen am Donnerstag gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) geäußert hat. Es sei nun sicher, dass die rechtspopulistische Partei PVV von Geert Wilders nicht regieren werde, so Bal.


Das Wahlergebnis in den Niederlanden hat Europa weiter nach rechts gerückt

Den Medienberichten und den Reaktionen der politischen Parteien nach zu urteilen, hat in den Niederlanden die Demokratie über das Böse in Gestalt von Geert Wilders gesiegt. Eine kurze Zusammenfassung der Übersicht über Reaktionen von Politikern bei tagesspiegel.de belegt, dass die Drohung der türkischen Regierung vor Religionskriegen in Europa und die Stärkung der türkischen Position durch den Erfolg von Denk für die um ihren Machterhalt besorgten EU-Parlamentarier kein Thema sind.

  • Merkel zur Niederlande-Wahl: “Ein guter Tag für die Demokratie” Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Ausgang der Wahl in den Niederlanden ausdrücklich begrüßt.
  • Als „Inspiration für viele“ bezeichnete EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Ergebnis der Parlamentswahl in den Niederlanden. „Das niederländische Volk hat mit überwältigender Mehrheit für die Werte gestimmt, für die Europa steht“, schrieb er in einem Glückwunschschreiben an den als Wahlsieger gefeierten Ministerpräsidenten Mark Rutte. Dies seien freie und tolerante Gesellschaften in einem wohlhabenden Europa.
  • Der Dänischer Regierungschef zeigte sich froh über Wahlergebnis: “Ich habe gerade meinen guten liberalen Freund @markrutte zum Wahlergebnis in den Niederlanden beglückwünscht“, twitterte Løkke Rasmussen am Donnerstag. „Schön, dass Ernsthaftigkeit belohnt wird!“
  • Die Linke fühlte sich erleichtert. Fixiert auf Stimmenzahlen sagte Parteichefin Katja Kipping, das Wahlergebnis sei ein positives Zeichen für die Wahlen in Frankreich und Deutschland. „Denn es zeigt, die Rechtspopulisten sind zu schlagen.“ Allerdings sieht sie, dass es Wilders gelungen sei, die Themen des Wahlkampfes maßgeblich mitzubestimmen und die größeren Parteien damit nach rechts zu rücken.
  • Sigmar Gabriel (SPD) macht der Wahlausgang in den Niederlanden Hoffnung für Zukunft Europas: “Die Wahlen in den Niederlanden machen wirklich Hoffnung, dass es gelingen kann, dieses Europa nicht nur zusammenzuhalten – sondern weiterzuentwickeln, wieder näher an die Bürger zu bringen”, sagte Gabriel am Donnerstag in Berlin.
  • Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sieht den Ausgang der Niederlande-Wahl als Schlappe auch für Rechtspopulisten in Deutschland und Frankreich. „Das zeigt, dass es keinen Freifahrtschein für die gibt, die Europa kaputt machen wollen“, sagte Asselborn am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. „Die Menschen wollen nicht in den Schlamassel des 20. Jahrhunderts zurückgeführt werden.“ „Das Ergebnis in den Niederlanden ist Gold wert auch für die Wahl in Frankreich.“ Für die Bundestagswahl im September erwartet Asselborn „zwei Volksparteien auf Augenhöhe“, wie er weiter sagte. „Das wird die AfD klein halten.“
  • Hollande feiert “Sieg gegen Extremismus”. Der französische Präsident François Hollande hat den Wahlerfolg des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte als „klaren Sieg gegen den Extremismus“ gefeiert.
  • Schottlands Regierungschefin Sturgeon: “Gut”. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon kommentierte das Abschneiden der Rechtspopulisten in den Niederlanden mit einem Wort: “Gut.”
  • Schulz ist erleichtert.  SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz twittert seine Erleichterung über die Wahl in den Niederlanden. “Geert Wilders konnte die Wahl in NL nicht gewinnen. Ich bin erleichtert. Wir müssen aber weiter für ein offenes und freies Europa kämpfen!”
  • Wahlsieger Rutte: “Ein Fest für die Demokratie”. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat das Abschneiden seiner rechtsliberalen Partei bei der Parlamentswahl als „großartig“ bezeichnet. In Anspielung auf das Abschneiden des Rechtspopulisten Geert Wilders sagte Rutte am Mittwochabend in Den Haag: „Das war heute ein Fest für die Demokratie.“ Der niederländische Wähler habe Nein gesagt „zu der falschen Art von Populismus“.Ruttes Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) hat nach derzeitigen Prognosen zwar 10 ihrer 41 Sitze im Parlament verloren, ist aber dennoch die mit Abstand größte Partei. „Das Schönste ist, dass wir die Größten sind“, sagte Rutte. Nun könnten die Rechtsliberalen ihre Politik fortsetzen. (dpa)
  • Italiens Regierungschef jubelt: “Kein #Nexit”. Der italienische Regierungschef Paolo Gentiloni hat sich erleichtert über das pro-europäische Votum der Niederländer gezeigt. „Kein #Nexit. Die Anti-EU-Rechte hat die Wahlen in den Niederlanden verloren“, schrieb der Ministerpräsident am Mittwochabend auf Twitter.

DENK eine linke Partei? Denkste!

2014 wurden die Abgeordneten Tunahan Kuzu und Selcuk Öztürk aus der Fraktion der Sozialdemokraten ausgeschlossen. Sie wandten sich gegen ein neues integrationspolitisches Konzept, das konservative türkische Organisationen wie Millî Görüş und die Süley­mancı-Bewegung ebenso wie die staatliche Religionsbehörde Diyanet und die Gülen-Bewegung unter die Lupe nehmen wollte. Im Parlament blieben sie als »Gruppe Kuzu/Öztürk«, woraus 2015 Denk entstand. Tobias Müller, seit 2006 als Benelux- Korrespondent in Amsterdam tätig und mit den Verhältnissen bei den westlichen Nachbarn und mit den Themen Migration/ Integration und Nationalismus sehr gut vertraut, erläutert die Entstehung von DENK. Den Erfolg verdankt die Bewegung offenbar der unkritischen Übernahme ihrer Selbstdarstellung. Dazu verwenden sie Schlüsselwörter, die bei Politikern, Medien und unkritischen Lesern einen erwünschten Effekt erzeugen: Denk präsentiert sich politisch korrekt als Vertretung “aller Niederländer” ungeachtet der Herkunft. Das Bekenntnis zu Diversität und Gleichheit soll “Gruppendenken und Rechtsruck” entgegenwirken und die gesellschaftlichen Gegensätze, die Kluft zwischen Bürgern und Politik und die zwischen Alteingesessenen und Immigranten sollen überwunden werden. Im deutsch-niederländisch-türkischen Wortschatz steht Denk für deutsch „Denken“ (“Denk nach!”) und türkisch für „Gleichheit“. Nach eigenen Angaben wendet sich Denk allen Niederländern zu (Slogan: “Nederland is van ons allemaal”), aber dennoch positioniert sich Denk als Partei der Einwanderer. In den Niederlanden leben etwa 400.000 Menschen mit Wurzeln in der Türkei. (Wikipedia)

Türken sind die größte Migrantengruppe der Niederlande. Rund drei Viertel von ihnen haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Die meisten türkischen Moscheen unterstehen der türkischen Religionsbehörde Diyanet und werden von der Islamitische Stichting Nederland (ISN) verwaltet. 40 Moscheen gehören zu Milli Görüs, deren niederländischer Zweig von Köln aus geleitet wird. Moscheen unterhält auch die konservative Suleymanci-Bewegung, die zudem ein Netzwerk von Organisationen und Stiftungen unterhält.

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) feiert Denk als die “erste reine Einwandererpartei Europas” und als “Rassistenjäger”. Die Gründer von Denk stehen allerdings der türkischen Regierungspartei AKP nahe, sagt der freie Journalist Tobias Müller. Wie passt das zusammen?

In der Nacht zum 16. Juli 2016 erschien auf der Facebook-Seite der »Bewegung Denk« ein euphorischer Bericht, schreibt Tobias Müller. Das türkische Volk sei aufgestanden und habe gezeigt, dass es für die Demokratie einsteht, frohlockte Denk.

Die Parteigründer Tunahan Kuzu und Selcuk Öztürk seien bekannt für ihre Weigerung, den Genozid an den Armeniern anzuerkennen, sagt Müller. Er weist außerdem darauf hin, dass Kritiker die Gründer von Denk als Sprachrohr der türkischen Regierung und türkisch-nationalistischen Organisationen betrachten. Videoaufnahmen zeigten Kuzu, wie er 2015 auf einer Demonstration in Rotterdam spricht, bei der Symbole der faschistischen Organisation »Graue Wölfe« präsentiert wurden. So habe der linke Publizist Mehmet Kirmacı den beiden in einem offenen Brief vorgeworfen, “bei jeder Kritik an Ankara die höchstmöglichen Verteidigungsmauern hochzuziehen”. Als Beispiel nannte Kirmacı den Brief des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu an die Privatadressen vieler Nederturken Ende 2015, in dem sie aufgefordert wurden, die AKP zu wählen. Alle Parlamentsmitglieder hätten daraufhin von der Regierung verlangt, beim türkischen Botschafter zu protestieren – “bis auf Öztürk und Kuzu”.

Wenig Aussicht auf politische Einsicht

Politisch korrekt zitiert die Rheinische Post die nichtssagende Bemerkung eines “Politikexperten” der Universität Maastricht. Völlig befreit von allen kritischen Bewertungen der Denk-Bewegung und deren Übereinstimmungen mit der gegenwärtigen türkischen Staatsraison heißt es in dem Artikel: “Denk bedient sich ganz sicher populistischer Methoden, ich würde aber nicht sagen, dass sie eine populistische Partei ist”, sagt der Politikexperte Koening. “Dafür müsste sie viel weiter gehen.” Grundsätzlich begrüßt Koening die Existenz einer Einwandererpartei: “Zumindest bringen sie neue Themen in die Politik, und das ist für die Demokratie immer gut.”

Wie viel weiter muss Denk gehen, damit Politiker und Politikexperten die Unvereinbarkeit zweier Lebenphilosophien verstehen? Hier wächst nicht zusammen, was zusammen gehört. Die Freude an der Einbringung neuer Themen in die Politik könnte den Idealisten bald verloren gehen, wenn die Warnung des türkischen Außenministers vor „Religionskriegen“ in Europa Realität werden sollte.

Quellen:

Foto: serenisik, pixabay

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