“Genügend Speicher – Aber die Kohlekraftwerke stehen im Weg ‘rum”

In der Sendung – unter den linden “Die Energiewende – ökologisch notwendig, ökonomisch gefährlich?”, vom 25.11.19, versucht Hans-Werner Sinn, einer grünen Bundestagsabgeordneten zu erklären, aus welchem Grund die Strompreise in Deutschland die höchsten in Europa, wenn nicht sogar in der ganzen industrialisierten Welt sind. Er sagt, dass wir für den grünen Weg zweimal die Fixkosten bezahlen müssen. Für die grünen Anlagen und für die alten Anlagen. Die alten Anlagen müssen stehen bleibe. Es gebe keine Speicher für überschüssigen Strom. Und die würden gebraucht, um die Dunkelflauten abzudecken. “Es ist nicht möglich, auf sie zu verzichten”, sagt Sinn. Ingrid Nestle widerspricht ihm.

“Die Energiewende – ökologisch notwendig, ökonomisch gefährlich?”

Ingrid Nestle ist Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Energiewirtschaft der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist promovierte Diplom-Wirtschaftsingenieurin, hat aber ihrer Biografie zufolge außerhalb des politischen Spektrums der grünen Jugend und der Grünen keine berufliche Tätigkeit ausgeübt. Nestle ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie.

Ihr Gesprächspartner, Hans-Werner Sinn, war Hochschullehrer und von 1999 bis 2016 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung.

Ein Gespräch unter den linden “Die Energiewende – ökologisch notwendig, ökonomisch gefährlich?” vom 25.11.19:

Nestle schüttelt energisch den Kopf als Hans-Werner Sinn ihr erklärt: “Sie haben im November, Dezember weder Wind noch Sonne genügend. Dann muss der Strom doch irgendwoher kommen. Sie können so viele Windmühlen dahin stellen, wie sie wollen, wenn da kein Wind weht, machen die keinen Strom. Sie brauchen immer die Kapazität konventioneller Anlagen, um in dieser Phase auch noch den Strom zu liefern.” (ab Min. 22:25)

Sinn

“Sie wissen selbst, dass im November und Dezember gerade besonders viel Windstrom da ist” entgegnet ihm die Wirtschaftsingenieurin. Die Aussage von Hans-Werner Sinn sei einfach faktisch falsch.

Stromerzeugung und Stromverbrauch 2018

Die Grafik über Stromerzeugung und Stromverbrauch im Jahr 2018 zeigt das Dilemma, das Ingrid Nestle nicht wahrhaben will. Auch in den Monaten November und Dezember ist nicht genügend Wind vorhanden, um den Strombedarf zu decken.

Abb. 1 Stromerzeugung und Stromverbrauch 2018, Agora Energiewende

Ohne konventionelle Kraftwerke ist eine zuverlässige Versorgung mit Strom nicht möglich. Zählt man den Strom aus Wasserkraft, Biomasse und Pumpspeicher hinzu, ändert dies nichts an der Feststellung Sinns, dass in den wind- und sonnenscheinlosen Phasen die Kapazität konventioneller Anlagen gebraucht wird. Dass durch die Bereitstellung doppelte Kosten entstehen, dürfte der Wirtschaftsingenieurin eigentlich nicht fremd sein. Ist es aber.

Abb. 2 Stromerzeugung und Stromverbrauch 2018, Agora Energiewende

Enthusiasten wie Ingrid Nestle glauben, dass mehr Windräder und Solaranlagen die Lücken der Stromversorgung decken können. Die Kohlekraftwerke seien ein Hindernis, sie stünden “nur im Weg ‘rum”, sagt sie. Die Speicher hätten deshalb keine Chance, im Markt einen Platz zu finden. Nestle ist überzeugt, dass es nur eine Frage des Strommanagements sei, um kontinuierlich mit Strom versorgt werden zu können. Es stünden genügend Speicher zur Verfügung, sagt Nestle, sie würden nur nicht so genannt. Und an Hans-Werner Sinn gewandt sagt sie tatsächlich: “Ich muss Ihnen sagen, wir Techniker haben diese Optionen alle durchgerechnet.”

Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende der Grünen, die bundesweit zuvor nur durch ihre Erfolge beim Trampolinspringen bekannt war, hatte bereits am 21. Januar im Deutschlandfunk erklärt, dass das Problem der Stromspeicherung in Deutschland gelöst sei:

An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.

(Annalena Baerbock)

Volatilität

Eine kleine Differenz zwischen Strombedarf und der Verfügbarkeit ließ das Autarkie-Projekt Pellworm scheitern. Es fehlten für eine zuverlässige Stromversorgung drei Prozent. Nur drei, aber entscheidende Prozent. An jedem Tag blieben auf Pellworm trotz aller Anstrengungen, inklusive Strommessgeräte und Speicher, rein rechnerisch für 43 Minuten die Lichter aus oder die Melkmaschinen standen, manchmal für längere, manchmal für kürzere Zeit, aber nie berechenbar. Die Insulaner brauchen den Strom vom Festland; sie sind weiterhin abhängig von Stromlieferungen über zwei 20‐Kilovolt‐Seekabel vom Festlandnetz. 

“Neben der Wirtschaftlichkeit ist die größte Herausforderung für die Integration der erneuerbaren Energien ihre Volatilität, also ihre Produktionsschwankungen, auszugleichen”, sagt windjournal.de, ein Fachblatt für Erneuerbare Energien. “Kurzfristige Schwankungen” müssten ausgeglichen werden. Dafür gebe es “unterschiedliche Ansätze, die alle verfolgt werden und zur Lösung der Herausforderungen beitragen werden.” Dazu zählen die Schaffung von kostengünstigen Energie-Speichern in einer Größenordnung von ca. 30TWh für Deutschland, der Netzausbau, um Off-Shore Windstrom vom Norden Deutschlands in den Süden zu transportieren und der “Aufbau eines Smart-Grids, um Energie dann zu verbrauchen, wenn ein großes Angebot herrscht.” Hausgeräte, demnächst vielleicht auch Elektromobile, “werden im Konzept von Smart-Grids informationstechnisch so gesteuert, dass sie dann laufen, wenn das Angebot an Strom gerade groß ist.”

Für ein Strommanagement steht in absehbarer Zeit realistisch gesehen jedoch nur ein einziges Werkzeug zur Verfügung: Smart Grids, die es den “Strommanagern” ermöglichen, den Strom nach Bedarf und Belieben zu rationieren und meistbietend zu verhökern.

Toni Sommerau

Titelfoto: distel2610, pixabay

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