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Boris Palmer – mundtod bei Facebook

“Mich macht niemand mundtot. Ich habe die Fehler in der Struktur des Diskurses in meinem Buch „Wir können nicht allen helfen“ ausführlich vorgetragen. Genau dasselbe läuft jetzt wieder ab. Ausgrenzung, Nazifizierung, Dämonisierung, moralische Selbsterhöhung und inszenierte Empörung. Das werde ich auch weiter kritisieren”, sagt Boris Palmer am 24. April 2019, 17:11 Uhr, auf Facebook.

Am 24. April, 15:43 Uhr, berichtet die FAZ, Boris Palmer habe beschlossen, seinen Account bei Facebook stillzulegen, um jedes Risiko auszuschließen, dass einem Shitstorm gegen ihn noch ein weiterer folgen konnte. Die Europa-Wahlen stehen an, und Boris Palmer sagt, er wolle seinen Parteifreunden ermöglichen, „ungestört von hysterischen Debatten Wahlkampf zu führen“. Mundtod bei Facebook.


Palmer

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“Nachdem Angela Merkel hunderttausende Flüchtlinge ins Land ließ, stellt sich nun die Frage: Wie kann es uns gelingen, die riesige Herausforderung der Integration zu meistern? Boris Palmer, Deutschlands bekanntester grüner Bürgermeister, zeigt, dass wir bei aller Hilfsbereitschaft auch offen über die Grenzen der Belastbarkeit sprechen müssen – etwa über Bildungs- und Jobchancen, über Wohnungsnot, den Umgang mit Gewalt und Abschiebung oder Fragen von Ordnung und Sicherheit. Denn nur wenn wir die Probleme offen benennen, können wir den Rechtspopulisten das Wasser abgraben.”

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Boris Palmer hat die Deutsche Bahn wegen einer Werbung kritisiert, in der die “bunte Gesellschaft” abgebildet sein soll. “Welche Gesellschaft soll das abbilden?”, fragte er. Dass ihm, der Geschichte und Mathematik für das Lehramt studiert hat, das zahlenmäßige Missverhältnis der dargestellten zu den tatsächlichen Ethnien in Deutschland auffiel, muss niemanden verwundern. Aber Boris Palmer hatte sich unter dem Eindruck seiner Erfahrungen als Oberbürgermeister von Tübingen zuvor schon mehrfach zu dem Thema Migration kritisch geäußert. Deshalb und auch wegen seines Buches “Wir können nicht allen helfen” galt er offenbar als “vorbelastet”.

Mit fast naturgesetzlicher Sicherheit folgte also der Shit-Storm. Palmer hatte damit gerechnet, ihn vielleicht sogar eingeplant.


Die Kritik Palmers erzürnte die DB: “Herr #Palmer hat offenbar Probleme mit einer offenen und bunten Gesellschaft. Solch eine Haltung lehnen wir ab. Nico Rosberg, Nazan Eckes und Nelson Müller sind positive und repräsentative Identifikationsfiguren. Die DB freut sich, mit ihnen zusammenzuarbeiten.” pic.twitter.com/Mk2wRLzFKm — Deutsche Bahn AG (@DB_Presse) 23. April 2019

 

Das Palmer sich nicht an der bunten Gesellschaft, sondern an der Darstellung gestört hat, ist der DB im politischen Nahkampfmodus offenbar untergegangen.

Die Unverbesserlichen

Das Unternehmen DB hätte auch anders reagieren können, ohne für den Teil der Bevölkerung Partei zu ergreifen, der sich zum Erbhüter des politisch und moralisch korrekten Denkens ernannt hat. Den fanatisierten Gralshütern ist schließlich zu verdanken, dass in Deutschland die Debattenkultur nahezu zum Erliegen gekommen ist.

Einige Kommentare auf der Facebookseite Boris Palmers bestätigen, dass Intoleranz unter grün-rotem Dach zu einem Markenzeichen geworden ist. Fanatiker erkennt man heutzutage leicht an ihren Sprüchen: “Rechts”, “Rassist” und “Nazi” brüllen sie heraus, wenn ihnen eine andere Meinung nicht gefällt.

Wer nicht pariert, wird aussortiert

Eine Gruppe Berliner Grünen-Politiker treibt den politischen Streit auf die Spitze und fordert den Parteiausschluss Palmers, berichtet die Welt. Palmer habe sich „mittlerweile als rechtspopulistischer Pöbler etabliert“, heißt es in einem offenen Brief, für den die grünen Autoren in Berlin und darüber hinaus um Unterstützung werben. Die Reihe seiner offen oder in ihrer Tendenz „rassistischen und hetzerischen“ Postings sei lang. Palmer verbinde „gar nichts“ mehr mit den Werten der Grünen.

Der Spiegel, in den sie schauen müssten, scheint blind zu sein. Diese Grünen sehen nicht ihr eigenes Gesicht.

“Wer querdenkt, wird abgekanzelt”

Intoleranz im Wirkungsbereich der Grünen gehört offenbar zu ihrer DNA. “Wer querdenkt, wird abgekanzelt”, sagte vor 11 Jahren Hubert Kleinert. Er gehörte 1983 zu den ersten Bundestagsabgeordneten der Grünen. 2008 schrieb er im Spiegel, dass in keiner anderen Partei so viel diffamiert werde wie bei den Grünen. Eine Erfahrung, die 2016 auch Robert Zion, ehemaliges Mitglied des Landesvorstands der Grünen NRW, machte.

2008 ging es um die Energiefrage. Es sei Bewegung in die Diskussion gekommen, schreibt Hubert Kleinert: “Nun mehrt sich die Zahl der Fachleute, die darauf hinweisen, dass mit ehrgeizigen Klimakonzepten allein die Versorgungslücken nicht zu schließen seien, die durch das baldige Abschalten aller Atomanlagen zu erwarten seien. Der Ausbau der regenerierbaren Energien ist zwar beachtlich, aber reicht mittelfristig nicht aus, um hier Kompensation zu schaffen. Also müssen entweder neue Kohlekraftwerke her oder über Restlaufzeiten von Atomreaktoren müsste noch mal neu geredet werden. Oder von beidem ein bisschen. Zweifellos ein sachliches, kein ideologisches Problem. Sicher eines, das der “Atomlobby” nicht ungelegen kommt; aber doch keines, das sie erfunden hätte.”

Darauf folgten “inquisitorischen Posen”, die, so sagt Kleinert, viel “über die politische Kultur bei den Grünen verraten.” Es finde eine gesinnungsmäßige Auf- und Überladung des Atomthemas statt, sagte er. “Wie in einer Gemeinschaft der Rechtgläubigen wird vormodern Abweichung moralisch stigmatisiert. Und das sogar da noch, wo es gar nicht um den zentralen Glaubenssatz selbst geht, sondern nur um einzelne Auslegungsfragen.”

Wer mal als Grüner eine öffentliche Rolle gespielt habe und sich derart äußert, begehe selbst dann noch eine Art Gesinnungsstraftat, die mit moralischen Verwerfungsurteilen zu sanktionieren ist, wenn am Ziel eines Verzichts auf Atom gar nicht gerüttelt werden soll. “Man hat nicht einfach bloß Unrecht, nein: Entweder man hat keine Ahnung, man ist naiv oder man hat schwere Schuld auf sich geladen.”

Diese Praxis stand nicht nur 2008 in einer “unheiligen Tradition, die die Geschichte dieser Partei mehr noch durchzieht als die Geschichte ihrer politischen Konkurrenten”, sagt Kleinert und fährt fort: “In fast allen Grundsatzkonflikten der Grünen seit den frühen achtziger Jahren ist es geradezu die Regel gewesen, nicht nur über verschiedene Auffassungen zu streiten, sondern immer auch mit moralischen Kategorien der Verwerfung, nicht selten auch mit offener Diffamierung zu operieren.”

Boris Palmer hat sich nichts vorzuwerfen, aber dennoch Konsequenzen gezogen. Er hat sich bei Facebook bis zur Europawahl am 26. Mai ein Schweigegelübde auferlegt, wie er der FAZ mitteilte. „Ich werde meinen Account stilllegen, um jedes Risiko auszuschließen, dass diesem Shitstorm noch ein weiterer folgt“, sagte er der F.A.Z. Er wolle seinen Parteifreunden ermöglichen, „ungestört von hysterischen Debatten Wahlkampf zu führen“. In Baden-Württemberg werden am 26. Mai neben dem Europaparlament auch die Gemeinderäte und Kreistage neu bestimmt.

Ein Rückzieher, der von seinen Befürwortern kritisiert wird. Der hysterische Durchmarsch der Grünen ist durch ein Schweigen nicht aufzuhalten. Deren Hysterie erstrecke sich über viel zu viele Themenfelder, um schweigend an die eigene politische Zukunft zu denken, heißt es.

Am 24. April änderte Boris Palmer sein Titelbild:

Die Grünen haben sich in den vergangenen 11 Jahren weiter verändert; sie sind noch viel schlimmer geworden. Und über die Energiefrage ist ihnen nicht nur der Griff nach der Macht gelungen, sondern auch der Einfluss tief in unsere Zivilisation hinein, die auf Energie basiert.

Faina Faruz

Foto: Structuro, pixabay

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