Beobachtungen aus dem Revier

Energiechaos im Ruhrgebiet

Das Energiechaos ist perfekt

Es sind nicht nur die alten Kraftwerke, die den Stadtwerken wegen der Energiewende und den geringen Strompreisen Probleme bereiten, sondern ausgerechnet die effizienteren, neuen Anlagen, die weniger CO2 ausstoßen. “Was die Großen derzeit erleben, kommt mit Zeitverzug bei den Stadtwerken mit eigener Energieerzeugung an. Das wird noch richtig durchschlagen“, sagte Roman Dudenhausen, Energieexperte und Vorstand der Essener Energieberatungsfirma Conenergy AG, kürzlich der WAZ.

RWE

Die RWE AG (bis 1990 Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG) kündigte am 20. September 2013 die Halbierung der Dividenden an und trifft damit insbesondere die verschuldeten Städte im Ruhrgebiet,  beispielsweise Bochum, Dortmund, Essen, Mülheim, Bottrop und Witten, die an der RWE beteiligt sind. Dutzende Städte und kommunale Betriebe halten derzeit insgesamt etwa 25 Prozent der Anteile an RWE. Durch die Kürzung der Dividenden bereits für das laufende Jahr werden 175 Millionen Euro weniger als eingeplant in die Kassen der zum Teil hoch verschuldeten Kommunen fließen. Statt  38,8 Millionen Euro werden zum Beispiel die Dortmunder Stadtwerke von RWE nur noch 19,4 Millionen Euro als Dividende erhalten.

Die Dividendenkürzung hat gravierende Folgen für zahlreiche Ruhrgebietsstädte. Der Kreis Mettmann hält beispielsweise seine RWE-Anteile über die städtischen Verkehrsbetriebe. Für den Kauf von Bussen stehen künftig statt zwei nur noch eine Million Euro zur Verfügung, In Oberhausen muss die Stadt wegen der Dividendenkürzung ein Minus von mehr als 1,3 Millionen Euro ausgleichen. Hinzu kommt, dass der Wert einer Aktie, der vor wenigen Jahren noch 80 Euro betrug, Anfang August 2013 auf 20 Euro gesunken war. Er liegt aktuell bei 25 Euro.
RWE ist einer der größten Energieversorgungskonzerne Europas und nach Umsatz der zweitgrößte Deutschlands.  Der Gründer der RWE, Hugo Stinnes, war Mülheimer, der Hauptsitz ist in Essen. Kommunen gehören traditionell zum Kreis der Aktionäre von RWE. Die Beteiligung der Kommunen schien für beide Seiten vorteilhaft zu sein: Die Kommunen waren überzeugt, sie könnten Einfluss auf die Konzernstrategie und auf Standortentscheidungen nehmen, die Dividenden galten als sichere Einnahmen, und an einen möglichen Wertverlust der Aktien dachten die Kommunen nicht. RWE schützte sich seinerseits durch seine Ankerinvestoren vor möglichen Übernahmen.

Dieses Konzept funktioniert nun nicht mehr. Um die Abhängigkeit von Energie-Großkonzernen zu reduzieren, entstanden im Ruhrgebiet im letzten Jahrzehnt kommunale Gemeinschaftsunternehmen und -kraftwerke, darunter die Steag und Trianel.

Steag

Sieben Revier-Stadtwerke, darunter Bochum, Dortmund und Essen, beteiligen sich mit insgesamt 51 Prozent an der Essener Steag. In der Planung hat der Konzern bis zum Jahr 2017 bereits fünf Blöcke zur Stilllegung vorgesehen, mit Folgen für die Arbeitsplätze. Steag hat bereits Ende 2011 ein Sparprogramm aufgelegt und 200 Stellen sozialverträglich gestrichen. Bis 2017 sollen weitere 300 Stellen wegen “fundamentale(r) Veränderungen“ auf dem Energiemarkt folgen.
Die Stadtwerke haben 2010 einen Kaufvertrag über die Übernahme der restlichen 49 Prozent der Anteile an der Steag für 600 Millionen Euro geschlossen – die heute nur noch einen Bruchteil dieser Summe wert sind. Die Stadtwerke müssten sofort Abschreibungen in Millionenhöhe vornehmen und die Steag-Anteile in ihren Büchern im Wert nach unten korrigieren.

Berger

Trianel

Trianel wurde 1999 als Gemeinschaftsunternehmen von Stadtwerken, kommunalen und regionalen Versorgungsunternehmen gegründet, um eine gemeinsame Beschaffung auf den liberalisierten deutschen und europäischen Energiemärkten zu organisieren. Der Schwerpunkt liegt auf Energiehandel, Energieerzeugung und der Beratung von Stadtwerken. Der Hauptsitz des Konzerns ist Aachen. Den größten Gesellschafteranteil mit knapp 25 Prozent hält die ewmr – Energie- und Wasserversorgung Mittleres Ruhrgebiet GmbH (Stadtwerke Bochum) und somit die Städte Bochum, Herne und Witten.

  1. Gas-Kraftwerks in Krefeld
    Trianel hat den geplanten Neubau eines Gas-Kraftwerks in Krefeld für einige Jahre auf Eis gelegt, weil er, wie andere junge und neuen Kraftwerke, trotz ihrer Effizienz unter den aktuellen Marktbedingungen nicht mehr finanzierbar ist. Das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk sollte eine Leistung von bis zu 1.200 Megawatt erbringen und über Kraft-Wärme-Kopplung gleichzeitig Strom und Prozessdampf bereitstellen können.
  2. Steinkohlekraftwerk in Lünen
    In Lünen wird seit 2008 das erste Steinkohlekraftwerk gebaut, dessen Eigentümer und Bauherren ausschließlich Stadtwerke und regionale Energieversorger sind. Das Stadtwerke-Netzwerk realisiert dort zusammen mit weiteren 30 Gesellschaftern einen 750-Megawatt-Block mit möglicher Fernwärmeauskopplung. Stadtwerke und Trianel haben zusammen 1,4 Milliarden Euro investiert.
    Wegen der  Energiewende müssen die kommunalen Stadtwerke von Dortmund, DEW 21, mit einem jährlichen Verlust von 15 Millionen Euro, die Stadtwerke Witten, die auch an einer RWE-Anlage in Hamm (Gekko) beteiligt sind, mit einem “mittleren zweistelligen Millionen-Verlust” rechnen, schätzt Energieexperte Dudenhausen. Auch die Bochumer Stadtwerke stecken mit Beteiligungen an Gekko, Lünen und Steag in der Energiefalle.
  3. Gas- und Dampfturbinenkraftwerks in Hamm-Uentrop.
    Trianel betreibt außerdem seit 2007 die Trianel Gaskraftwerk Hamm GmbH & Co. KG, das erste kommunale Gas- und Dampfturbinenkraftwerks in Hamm-Uentrop.
  4. Offshore-Windpark„Borkum West II“
    Trianel ist federführend bei der Trianel Windkraft Borkum GmbH & Co. KG an dem Offshore-Windpark „Borkum West II“, 45 km nördlich der Insel Borkum. An der Anlage ist Trianel mit 20,89 Prozent beteiligt. Projektiert wurde die Anlage von der Prokon Nord Energiesysteme GmbH in Leer.
    1,6 Milliarden sollen die insgesamt 80 Windenergieanlagen, die eine Leistung von insgesamt 400 Megawatt erbringen sollen, kosten. 400.000 Haushalte können dadurch mit Strom versorgt werden. Zum Vergleich: Um die Leistung eines Kernkraftwerks zu erbringen, müssten 200 Windenergieanlagen gebaut werden.
    In der ersten Ausbaustufe werden 40, je 148  Meter hohe Windenergieanlagen der 5-MW-Klasse “M5000” von AREVA errichtet, mit einer Gesamtleistung von 200 Megawatt.
    33 Stadtwerke und regionale Energieversorger sind an der Errichtung des Windparks beteiligt, die Stadtwerke Witten beispielsweise mit einer Leistung von 3,7  Megawatt, die zur Stromversorgung von rund 4 200 Haushalten im Versorgungsgebiet ausreichen.
    Damit der Strom in der Nordsee zu Gleichstrom mit 220 kV umgewandelt werden kann, wurde eine Konverterplattform, die “DolWin alpha“ von TenneT erbaut. Sie soll künftig den Strom von drei Windparks in der Nordsee zu Gleichstrom mit 220 kV umwandeln, der dann mittels Seekabel über eine Strecke von 75 Kilometer und über Landkabel weitere 90 km Richtung Ruhrgebiet transportiert werden soll.
    Es fehlte noch der dritte Windpark, “das Herzstück für den Stromtransport”, der Offshore-Windpark MEG 1 des Unternehmens Windreich. Er sei erfolgreich errichtet worden, berichteten die Medien am 26.08.2013. Das Windreich-Unternehmen ist aber hoch verschuldet und hat ein Insolvenzverfahren beantragt, hieß es zwei Wochen später in den Nachrichten. In den kommenden Wochen soll ein Sanierungskonzept erarbeitet und dann zur Prüfung vorgelegt werden. Auf den Netzanschluss müssen die Betreiber weiter warten…Der Bau von Offshore-Windparks wird zwar von Befürwortern einer dezentralen Energieversorgung in Deutschland scharf kritisiert, der Bau von großen Erzeugungskapazitäten sei weit entfernt vom Verbraucher und nicht nur vergleichsweise teuer, sondern auch ein Rückfall in die Zeit einer zentralen Energieversorgung durch Großkonzerne, aber am Bau von Offshore-Windparks sind auch Stadtwerke und mittelständische Unternehmer beteiligt.
  5. RWE-Anlage Gekko in Hamm
    Mit Gekko droht den Stadtwerken, die an der RWE-Anlage Gekko in Hamm beteiligt sind, ein weiteres Millionengrab. Der Anteil der Städte, darunter Bochum, mit Herne und Witten, und Dortmund, sind mit 23 Prozent am Neubau beteiligt. Die 1600 MW-Anlage kostet mehr als zwei Milliarden Euro. Wenn das “modernste Kohlekraftwerk der Welt” 2014 ans Netz geht, hat es sich längst zum Millionen-Grab entwickelt.

Das Chaos ist perfekt

Die Verluste der kommunalen Stadtwerke des Ruhrgebiets resultieren nicht primär aus ihrer Beteiligung an RWE. Der Grund ist, dass die Preise, die zum Betrieb eines Kraftwerks notwendig sind, wegen der Überkapazitäten am Strommarkt nicht erzielt werden können. Es spielt dabei keine Rolle, ob sich die Kraftwerke und der Energiehandel in kommunalem oder privatem Besitz befinden. Roman Dudenhausen, Energieexperte und Vorstand der Essener Conenergy AG, sieht Millionenverluste bei den Stadtwerken programmiert: “Die Großhandelspreise für Strom deckten derzeit etwa nur zwei Drittel dessen, was zum Betrieb eines konventionellen Kraftwerkes nötig sei.”
Sogar für Braunkohle- und Atomkraftwerke, die Strom am billigsten produzieren, rechnet sich der Betrieb nicht mehr, obwohl die Atomkraftwerke bereits abgeschrieben sind.
Nach Informationen aus Branchenkreisen brauchen Atomkraftwerke zur Deckung ihrer Vollkosten normalerweise einen Börsenpreis von 25 bis 30 Euro pro Megawattstunde. Durch die Einführung der Brennelementesteuer wurden die Anlagen aber mit zusätzlichen Kosten von 15 Euro pro Megawattstunde belastet. Für einen wirtschaftlichen Betrieb von Atomkraftwerken wäre heute also ein Börsenpreis von mindestens 40 Euro pro Megawattstunde nötig – ein Niveau, das am Terminmarkt bereits deutlich unterschritten wurde. Eine solide Kalkulation dürfte außerdem schwierig sein, denn der Stromhandel ist intransparent und anfällig für Manipulationen.

Die Überkapazitäten am Strommarkt entstehen durch die Bevorzugung der erneuerbaren Energien bei der Einspeisung von Strom in das Stromnetz. Im Zuge der Energiewende wurden mit Hilfe von Subventionen große Erzeugungskapazitäten an erneuerbarer Energien hinzugebaut. Sie ließen nicht nur die Preise verfallen, sondern auch die Netzstabilität gefährden. Die Gefahr eines Blackouts wächst mit der Abhängigkeit von Zufallsstromerzeugern.

Die Energiewende 2011 hat für die Energiekonzerne nicht nur negative Aspekte. Sie ist auch ein willkommener Anlass für sie, die Folgen von unternehmerischen Fehlentscheidungen und damit Schulden in Höhe von 35 Milliarden Euro abzubauen. In Verbindung mit dem sofortigen Ausstieg aus der Kernkraft genießt RWE eine Art Schuldenschnitt. Dafür müssen vor allem kleinere Betriebe und Privathaushalte eine gewaltige finanzielle Mehrbelastung in Kauf nehmen.

Die Ankündigung von RWE, eine Vielzahl von Gas- und Kohlekraftwerken vom Markt nehmen zu wollen, könnte gravierende Konsequenzen für die Stromversorgung im Ruhrgebiet haben. Über die Folgen der Energiewende für die Stadtwerke machen sich die Landesregierung NRW (rot/grün) erst jetzt große Sorgen. Viele Stadtwerke, die Kohle- und Gaskraftwerke betreiben, geraten in eine schwierige Lage, die Städte häufen den Schuldenberg weiter auf – trotz gemeinschaftlicher, kommunaler Stromversorgung.

 

Titelfoto: thierry ehrmann

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