Meinungsdiktatur – mit Vollgas in eine Neue Weltordnung

Den Literaturpreis erhielt in diesem Jahr Bob Dylan. Ob dies “ein Nostalgie-Preis von senilen, sabbernden Hippies” (Irvine Welsh) sei oder ob die Tatsache, dass der Musiker “den Status einer Ikone” habe, wie die Nobelpreis-Jury ihre Wahl begründete, wird in den Medien heiß diskutiert. Die Begründung der Jury, dass die Musik des Popsängers Einfluss auf die zeitgenössische Musik tiefgreifend sei, und die Feststellung, Bob Dylan sei ein Dichter, der poetische Traditionen in eine eigene, fantastische Stimme verwandle (t-online) stützen, enthält aber darüber hinaus ein Zugeständnis an den zeitgemäßen Populismus. Den setzen Politiker bewusst ein, um ihre verloren gegangene Nähe zur Bevölkerung wieder herzustellen. Zur gleichen Zeit, in der Bob Dylan, der für Meinungsfreiheit stand, von der SPD gefeiert wird, versucht die SPD oder nimmt Versuche hin, Kritiker der Regierungspolitik, darunter Daniele Ganser und Hamed Abdel-Samad, kalt zu stellen. 

Literaturnobelpreis für Bob Dylan

spd_dylanBob Dylan “hat unsere Köpfe befreit”, freut sich die FAZ. Wessen Köpfe? Wovon befreit?

Die SPD-Fraktion verschickt an alle, “die ihre Tage hinter dem Mond zu verbringen pflegen” (Die Zeit) eine Mail mit dem Subject: “EILMELDUNG: Bob Dylan erhält Literaturnobelpreis 2016”.

Sigmar Gabriel twittert: “Glückwunsch! Blowing in the wind” habe ich als 13-jähriger auf Konfirmandenfreizeit auf Ameland gelernt. Und: ich kann es noch singen.”

Das Auswärtige Amt twitterte: “Steinmeier zum Literaturnobelpreis für Bob Dylan: Einer der größten Maa_dylanusiker des 20. Jhd, d. mit seinen Texten direkt die Herzen erreicht hat”

Palmer

Hätte Bob Dylan die Menschen nicht auf dem Umweg über die Herzen, sondern auf direktem Weg über den Verstand erreichen wollen, wäre die SPD vielleicht weniger aus dem Häuschen gewesen. Aber mit Aufklärung tun sich die Genossen in der SPD, CDU und der Partei der Grünen sehr schwer, wie Vorfälle zu Vorträgen von Daniele Ganser und Hamed Abdel-Samad zeigen.

 

Hexenjagd auf einen unbequemen Historiker

Als Daniele Ganser am 29. Oktober 2015 an der Universität Witten/Herdecke einen Vortrag zu dem Thema “Fakten, Meinungen, Propaganda – Wie mache ich mir selbst ein Bild?” halten sollte, geriet die örtliche SPD derart in Rage, dass sie gemeinsam mit den übrigen potenziellen Anhängern eines Bob Dylan, die Jusos Witten, die Grüne Jugend Witten und auch die Piratenpartei NRW, anstatt die Köpfe zu befreien, in einem offenen Brief die Universität aufforderten, Ganser auszuladen “und sich von ihm und seinen Thesen zu distanzieren” (heise: Verschwörungstheoretiker blasen zur Hexenjagd auf Historiker).

Daniele Ganser ist auf Zeitgeschichte nach 1945 und internationale Politik spezialisiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Friedensforschung, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik. Er unterrichtet am Historischen Seminar der Universität Basel und forscht zum «Peak Oil», dem globalen Kampf ums Erdöl, und dem so genannten «Krieg gegen den Terrorismus». Politisch korrekte Theman, aber Ganser ist nicht systemkonform. In seinem Buch “Illegale Kriege” beschreibt Ganser, wie in Vergangenheit und Gegenwart illegale Kriege geführt werden. Es zeigt, wie die Regeln der UNO und vor allem das Kriegsverbot gezielt sabotiert wurden und welch unrühmliche Rolle hierbei die Länder der NATO spielen. Es ist ein Buch von beklemmender Aktualität, der auch SPD-Parteiorganisationen in der Provinz Probleme bereiten. Kritik an der Regierungspolitik stellt sich der Wittener SPD als Angriff auf die Macht dar, die zu verteidigen sie als ihre Pflicht sieht.

Die Wittener SPD und ihre Gefolgschaft setzt sich über die Grundwerte einer Universität im Allgemeinen und die Besonderheiten der Unversität Witten/Herdecke (UW/H) und über die Meinungsfreiheit hinweg, wenn sie ihre Kreise gestört sehen. Die Grundwerte der Universität in Witten/Herdecke sind klar definiert: “Die UW/H ist einem pluralen Wissenschaftsverständnis verpflichtet. Sie ermutigt zu persönlichen Erfahrungen, zum methodischen Wechsel der Perspektiven und zum offenen Diskurs zwischen den Disziplinen als Voraussetzung einer geschärften Urteilskraft. In ihr entfalten sich fragen- und problemorientierte Ansätze, Urteile und Erkenntnisse, deren mögliche Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt verantwortlich mitgedacht werden.” Der Angriff auf die Meinungsfreiheit schlug fehl, Daniele Ganser durfte den Vortrag halten.

 

Tabubruch

Nicht nur Daniele Ganser, auch jemand wie Hamed Abdel-Samad steht plötzlich in der Kritik. Es ist nicht so, dass er seine Meinung plötzlich geändert hat und deswegen als Redner abgelehnt wird. Was der Autor zurzeit erlebt, könnte man als einen passiven Tabubruch bezeichnen, denn nicht er, sondern die Republik hat sich gedreht. Weil er Mohamed als „Massenmörder und krankhaften Tyrann“ bezeichnet hat, wurde Abdel-Samad angezeigt und von der Berliner Staatsanwaltschaft verhört. Das sei ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, sagt der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn .

Vor Jahrzehnten war im Deutschen Reich die geistige Wende zuerst an den Universitäten spürbar. Einen ähnlichen Prozess können wir in diesen Tagen erleben. Die Uni Augsburg, wo Hamed Abdel-Samad studiert und seine ersten Forschungsergebnisse zum politischen Islam präsentiert hat, verweigere ihm nun eine kritische Diskussion über den Koran, weil er einst bei der AFD aufgetreten sei, sagt der Autor und Wissenschaftler. Dieselbe Uni, die ihn einst als Muster-Muslim mit Preisen geehrt habe. Auch die Uni München, wo er Jahre lang islamische und jüdische Geschichte gelehrt habe, habe es abgelehnt, dass er die Ergebnisse seiner Forschung zum Koran in einem offenen Dialog mit Studierenden und Bürgern der Stadt diskutiere. Sie habe ihm einen Raum für einen Vortrag verweigert mit der Begründung “Wir stellen unsere Räume für weltanschauliche Veranstaltungen nicht zu Verfügung”.

Hamed Abdel-Samad wurde 1972 bei Kairo geboren, studierte Englisch, Französisch, Japanisch und Politik. Er arbeitete für die UNESCO, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur der Universität München. Abdel-Samad ist Mitglied der Deutschen Islam Konferenz und zählt zu den profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.
Seine Autobiographie “Mein Abschied vom Himmel” sorgte für Aufsehen: “Was er von seinen Landsleuten erwartet, hat er selbst vorgemacht: Aufklärung durch Tabubruch.” ZDF-Aspekte

 

Aufklärung ist unerwünscht

Dass Aufklärung unerwünscht ist, wenn sie nicht den Leitlinien der Politik exakt folgt, gilt nicht nur für den Islam, sondern auch für Energiefragen. Dort ist man sogar schon ein Stückchen weiter: Wer nicht an den Klimawandel glaube, solle bestraft werden, überlegt zum Beispiel Al Gore.

Hamed Abdel-Samad registriert eine fortschreitende Meinungsdiktatur in Deutschland. “Wohin entwickelt sich die Meinungsfreiheit in Deutschland? Unis, Intellektuelle, Islamfunktionäre und Politiker der Parteien der Mitte weigern sich, einer ehrlichen und offenen Debatte über den Islam zu stellen, dann jammern sie alle, dass diese Debatte am rechten Rand geführt wird!”, sagt Hamed Abdel-Samad.

Seine Bücher sind (noch) im Buchhandel erhältlich, Buchhändler fordern (noch) nicht zum Verbrennen seiner Bücher auf, wie es bei Akif Pirinçci der Fall war, dessen Bücher nicht mehr ausgeliefert werden. Der neue Zeitgeist hat in der Geschichte prächtige Vorbilder, nachzulesen bei Heinrich Mann “Der Untertan”.

Titelfoto: Joan Baez und Bob Dylan 1963 bei dem vom Civil Rights Movement organisierten Marsch auf Washington, WikiCommons

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