“Toxische Narrative entkräften – Trainingsprogramm für Journalist:innen” – Die Agora des Verfassungsschutzes

Das „Zentrum für Analyse und Forschung“ (ZAF) am Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) veranstaltete am 5. und 6. September 2023 in Berlin eine zweite Wissenschaftskonferenz. Zum Thema „Meinungsbildung 2.0 – Strategien im Ringen um Deutungshoheit im digitalen Zeitalter“ stellten Fachleute aus Wissenschaft, Gesellschaft und Sicherheitsbehörden im Rahmen verschiedener Panels und Diskussionsformate ihre Expertise, Forschungsvorhaben und Projekte vor.

Nach eigenen Angaben befindet sich das „Zentrum für Analyse und Forschung“ im Aufbau. Die Forschungsstelle verfolgt das Ziel, “den interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaft und Nachrichtendiensten und die Analysekompetenzen des Verfassungsschutzes zu stärken.”

Der BfV-Präsident Thomas Haldenwang hielt die Eröffnungsrede.

Agora hüben – Metöken drüben

Sorgen bereitet Haldenwang, Jürgen Habermas zitierend, der “revolutionäre Charakter der sogenannten neuen Medien”. Durch deren “redaktionslosen Plattformcharakter” entstünden “konkurrierende Öffentlichkeiten” – und damit der “Verlust jener gemeinsamen Agora, die als Arena für Interessenskonflikte zwingend erforderlich” sei.

Der Begriff “Arena” diente in der Antike als Bezeichnung für einen Kampfplatz, Vorführungsplatz, ein Amphitheater und wird noch heute im Zusammenhang mit Stierkampf und Zirkus benutzt. Im übertragenen Sinn ist “Arena” ein Schauplatz.

 

Schneidewind

In der Antike war die Agora das geschäftliche, politische und rechtliche Zentrum Athens und brachte Bürger zusammen, die die Rechte besaßen, aktiv am politischen Leben teilzunehmen. Verschwiegen wird in der Regel, dass die Anerkennung als Bürger an Voraussetzungen gebunden war: Um im antiken Athen als Bürger anerkannt zu werden, musste man männlich sein, von zwei athenischen Eltern geboren, über achtzehn Jahre alt sein und seinen Militärdienst absolviert haben. Frauen, Sklaven, Metöken („Mitbewohner“, die kein Land besitzen durften und vor allem in Handwerk und Handel tätig waren) und Kinder unter 20 Jahren durften keine Staatsbürgerschaft erlangen.

Die Vorstellung, Meinungen zu Interessenkonflikten dürften auschließlich in einer “Arena” oder “Agora” geäußert werden, widerspricht offensichtlich dem Grundgedanken der modernen Demokratie.

“Rote Linien” gegen Demokraten

Im modernen Deutschland spielt der soziale Status in der Politik eine geringere Rolle als eine von Politikern willkürlich gezogene “rote Linie”. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte erstmals im Interview mit der „Zeit“, später wiederholt in der „Bild am Sonntag“, erklärt, dass es für seine Regierung „keine roten Linien“ gebe. Der Verlag Herder kommentiert: “Wirklich? Keine roten Linien? Bezogen war das auf die Corona-Politik, aber in der Rhetorik scheint es der Ampel-Koalition zu gefallen, dies als Chiffre ihrer ganzen Regierungsarbeit zu betrachten, die immer wieder von einem Entfesselungsmantra getragen zu sein scheint.”

Rote Linien werden immer weiter zu Gunsten der Politiker der Regierungskoalition (SPD, Grüne, FDP) verschoben, die sich ihre vermeintlich linke oder linksliberale Politik unter anderem von dem Sänger Herbert Grönemeyer bestätigen lässt: “Parole “Kein Millimeter nach rechts”.”

“Glaube an den faktenbasierten Diskurs”

Die rote Linie sieht der Verfassungsschützer Haldenwang offenbar überschritten. Nach seiner Beobachtung werden “die Würde der Demokratie und des Rechtsstaates delegitimiert, das Vertrauen in ihre Handlungsfähigkeit unterminiert und der Glaube an den faktenbasierten Diskurs torpediert”.

Die Regierung eines aufgeklärten Landes, das den Glauben an längst widerlegte Fakten einfordert, delegitimiert sich ohne fremdes Zutun. Was faktenbasiert ist und was nicht, bestimmte im Mittelalter die Inquisition. Um deren Nachfolge rangeln sich zahlreiche Organisationen, jetzt offenbar auch der Verfassungsschutz.

Aus Haldenwangs Sicht gehört der politische Gegner nicht zur Agora, denn er mache aus dem politischen Streit einen Kampf gegen das System. Folgerichtig kommt Haldenwang, der von Nancy Faeser ins Amt platzierte Nachfolger von Hans-Georg Maaßen, zu dem Schluss: “Nicht der politische Dissens ist die Gefahr, sondern die Politisierung von evidenzbasierten Tatsachen. Und nicht der Streit ist besorgniserregend, sondern der Verlust einer gemeinsamen Ausgangslage, über deren Auswege man streiten könnte!”

Einen Streit über grundlegende Fragen schließt Haldenwang aus. Einerseits dadurch, dass er sich als Austragungsort eine Agora vorstellt, wo nur bestimmte, ausgewählte Menschen etwas zu sagen haben. Andererseits dadurch, dass er Widersprüche gegen Auffassungen, die als “evidenzbasiert” gelten, gelten als feindselige Haltungen von Extremisten diffamiert.

Extremisten glaubt Haldenwang unter anderem daran zu erkennen, dass sie “oftmals das direkte Plebiszit favorisieren”. Er sagt: “Sie politisieren Fakten, um sie zugleich als politisch motiviert relativieren zu können. Im vermeintlichen Namen des Volkes reiten sie Attacken gegen das sogenannte Establishment, um die repräsentative Demokratie zu schleifen.”

Der Chef des Verfassungsschutzes lässt sich sicher von niemandem belehren. Aber zwischen ihm und dem Grundgesetz besteht ein wichtiger Unterschied. Das Grundgesetz ist zwar auf eine fast ausschließliche mittelbare Ausübung von Staatsgewalt (repräsentative Demokratie) festgelegt, aber in den Bundesländern ist eine direkte Beteiligung des Volkes an der Ausübung von Staatsgewalt in weiterem Umfang als auf Bundesebene möglich. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erklärt den Verfahrensaufbau auf Landesebene. Danach steht allen Einwohnern unabhängig von ihrer Stimmberechtigung nach Art. 76 BbgVerf prinzipiell das Recht zu, eine Volksinitiative einzubringen.

Wie aber sollte eine Volksinitiative zustande kommen, wenn nicht durch eine Verständigung der daran Interessierten über Zweck und Ziele? Dass hierzu moderne Kommunikationsmittel benutzt und die Behörden nicht zur Teilnahme eingeladen werden, widerspricht zwar totalitärem Denken, nicht aber der Demokratie.

Was versteht der Verfassungsschutz unter “freier Wissenschaft”?

“Die Konferenz möchte in Form und Inhalt auch zum Ausdruck bringen, dass der Auftrag und die Intention unseres Nachrichtendienstes in vielerlei Hinsicht deckungsgleich ist mit der freien Wissenschaft!”, sagt Haldenwang.

Welche Wissenschaft meint Haldenwang?

“Die Wissenschaft. Das ist ein Apparat, eine Behörde, eine Anstalt. Unterworfen der Politik, beherrscht von Unternehmen, Stiftungen, Parteien. Nur eine hat dort nichts zu suchen: die Freiheit der Forschung”, sagt Michael Meyen, Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Mit einfachen Worten: DIE Wissenschaft gibt es nicht. Wer sich rückblickend auf die Erfahrungen der Inquisition und verschiedener Diktaturen immer noch auf “Die Wissenschaft” beruft, meint nicht Wissenschaft, sondern Unterwerfung.

In seinem Konferenz-Beitrag präzisierte Bodo W. Becker vom Bundesamt für Verfassungsschutz die Auffassung des Verfassungsschutzes zum Thema “freie Wissenschaft”. Er definiert die roten Linien, die für die Wissenschaftskonferenz gelten, nämlich “sämtliche geheimdienstliche Aktivitäten in oder gegen Deutschland aufzuklären und abzuwehren.”

Diese Sichtweise hat sich nach der Entfernung von Hans-Georg Maaßen aus dem Amt als oberster Verfassungsschützer 2018 in Deutschland durchgesetzt und der Korruption Tür und Tor weiter geöffnet.

Zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes: Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Im Rechtsstaat Deutschland hat der Verfassungsschutz nach eigener Darstellung auch heute noch die zentrale Aufgabe, für die Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu sorgen. Diese Aufgabe beinhaltet, dass das Bundesamt das Rechtsstaatsprinzip schützen und die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger vor Eingriffen des Staates sichern muss. Diese Bestimmung, durch den der Verfassungsschutz primär zum Schutz der Grundrechte dient, haben der Verfassungsschutz und das Innenministerium, das Nancy Faeser (SPD) untersteht, offenbar gestrichen. Aus welchem Grund? Um die repräsentative Demokratie zu schleifen?

Die Aufgabe, die der Verfassungsschutz unter Thomas Haldenwang den an der Konferenz teilnehmenden Esperten, Journalisten und Mitarbeitern stellt, ergibt sich unmissverständlich aus der Zielsetzung seiner Behörde: “Neben Sammlung und Auswertung von Informationen zu diesem Zweck zählt auch die Unterrichtung von Regierung, Parlament und Öffentlichkeit, einschließlich spezifischer Zielgruppen, zu den Funktionen als Frühwarnsystem.”

Ein Frühwarnsystem, das auf Verletzungen des Grundgesetzes durch die Regierung aufmerksam macht, ist von den Verfassungsschützern derzeit nicht vorgesehen, obwohl es ihm um den Schutz der Verfassung und nicht um den Schutz der politischen Meinung aktuell regierender Politiker gehen sollte.

Jedenfalls vergewissert Haldenwang in seiner Rede die Konferenzteilnehmer, dass sie auf der politisch richtigen Seite stehen. Damit sind auch und insbesondere die anwesenden Journalisten angesprochen.

Als was bezeichnet man Journalisten, die vom Verfassungsschutz ausgebildet werden, um bestimmte Narrative zu bekämpfen?

Über das Thema “Toxische Narrative entkräften – Trainingsprogramm für Journalist:innen” referierten Natascha Hetzel, Tilmann Klawier, Prof. Dr. Wolfgang Schweiger (Universität Hohenheim) und Jun.-Prof. Dr. Fabian Prochazka (Universität Erfurt). Die Autoren, Vertreter der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, verstehen Kritik an den Coronamaßnahmen als “COVID-19-Verschwörungstheorien”, die sie als Ausdruck einer allgemeinen Ablehnung von evidenzbasiertem Wissen interpretieren. Sie fordern einen “gesamtgesellschaftlichen Ansatz gegen Verschwörungstheorien”. Der Geist der Inquisition lebt noch.

Rita Gsenger, vom Weizenbaum Institut Berlin, ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Verbundprojekt, spricht über das Thema “Wie viel Regulierung brauchen wir? Die Regulierung von Desinformation aus evidenzbasierter Sicht.” Ihre Überlegungen beziehen sich auf die Frage, wieviel Regulierung für Internet-Plattformen, im Zusammenhang mit den neuen Regeln im Sinne von Art. 3 (i) des Gesetzes über digitale Dienste (DSA), wünschenswert ist.

Auch Correctiv ist mit dem Vortrag von Caroline Lindekamp, “Nachhaltiges Prebunking durch Debunking: wie CORRECTIV mit Peer Production Desinformation bekämpft”, dabei. Die Journalistin ist für Correctiv tätig und gehört zum Team des Erich-Brost-Instituts für Internationalen Journalismus in Dortmund.

Apollo News stellt angesichts dieser Beiträge zu recht die Frage:

“Wenn Journalisten staatlich ausgebildet werden, um bestimmte Narrative zu bekämpfen – zu was macht sie das dann? Noch dazu, wenn dabei die staatliche Institution definiert, welche Narrative als toxisch zu bekämpfen sind? Seit wann können Meinungsäußerungen überhaupt „toxisch“ sein.”
Pascal Tannich, Leonie Bednorz, Anna Hafenrichter
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Für Apollo News steht der tatsächliche Fokus der Veranstaltung fest: der Kampf gegen Rechts. “Rechts” ist heute jedoch nur noch ein Synonym für eine unabhängige Meinung.

Fazit

Die Wissenschaftskonferenz war nicht einmal eine “Agora”, wozu sie der Verfassungsschutz hätte machen können. Denn die als “Rechts” diffamierten Journalisten, die nicht den Metöken zugerechnet werden können, um im Bild der griechischen Antike Haldenwangs zu bleiben, waren nicht vertreten.

Ein verengter Blick auf die Realität ermöglicht es Politikern und Lobbyisten jeglicher Herkunft und Couleur derzeit, jede Abweichung von ideologischen Grundsätzen des “Green Deals” und des WEF als “Rechts” zu brandmarken, den Verfassungsschutz für ihre persönlichen Zwecke zu instrumentalisieren und sich fälschlicherweise als Verteidiger der Demokratie auszugeben.

Ähnlich wie über die Agora des antiken Athens wird auch über die moderna Agora irgendwann Gras wachsen. Die Versuche kleiner “Eliten”, die Mehrheit der Bevölkerung zu bevormunden, werden, wie auch ihre historischen Vorbilder, in Zukunft scheitern.

Faina Faruz

Titelbild: user32212, pixabay Agora – Athen


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